Doch nicht live dabei
KOMMENTAR
Von Heidemarie Klabacher
28/01/21 Die Mozartwoche ist ins Internet gewandert, das Eröffnungskonzert im Stream über die Bühne gegangen. Tatsächlich? Als das Mozarteumorchester auf dem Bildschirm die Instrumente hob und sich mit Lust und Verve kopfüber in die „kleine“ g-Moll Symphonie stürzte, war es in Wirklichkeit im Großen Saal des Mozarteums still und leer. Der erste Eindruck – Freude und Zweifel – macht nachdenklich.
„Die Fernseh-Übertragung eines Fußballspiels ist genauso live wie eine Zoom-Konferenz“, sagte jüngst Sebastian Linz, der Leiter der ARGEkultur in einem auf Facebook getreamten Pressegespräch. „Live“ meine die „physische Co-Präsenz“ von Ausführenden und Publikum in einem Raum. „Liveness gibt es analog und digital.“ Zwei Generationen seien bereits aufgewachsen „ohne die Sozialisierung mit dem Live-Erlebnis, wie wir sie kennen“. Diese jungen Leute „treffen sich ganz normal live im Netz – als einem Ort“.
Aber was, wenn das Konzert aufgezeichnet und Tage später gesendet wird? Ist dann das Internet noch ein „gemeinsamer Ort“? Ist es noch „ein“ Publikum, wenn lauter einzelne Individuen einzeln vor ihren Bildschirmen sitzen? Bei einem Live-Stream ist in der Regel irgendwo am Bildschirmrand zu sehen, wie viele Teilnehmer das Ereignis gerade mitverfolgen. Das stiftet ein seltsames, aber doch irgendwie ermutigendes Gefühl von Gemeinschaft.
War man beim Eröffnungskonzert der Mozartwoche digital am Mittwoch (27.1.) mit achthundert Personen (soviel fasst der Große Saal), achttausend oder bloß mit acht „Kulturverliebten“ gleichzeitig online? Bald ein Jahr Pandemie hat uns inzwischen einige Erfahrungen mit „Kultur im Internet“ aufgezwungen. Vieles war gut gemeint, manches wirklich gut. Da mussten und müssen (vermutlich) Erfahrungen gesammelt werden.
Dem „Live-Erlebnis nachzuweinen“, sagte Sebastian Linz Mitte Jänner in dem Pressegespräch, sei ebenso legitim, wie von der „fast schamanische Beschwörung des Live-Charakters der Aura“ zu sprechen.
Die fehlende „Aura“ beiseite gelassen – Hätten die Musikerinnen und Musiker des Mozarteumorchesters nicht wenigstens einander „lauthals“ applaudieren dürfen? – bleiben doch atmosphärische „Trübungen“, die dem musikalischen Ertrag zuzuschreiben sind.
Mit der Symphonie g-Moll KV 183, nicht nur ein Lieblingsstück von Mozartwochen-Intendant Rolando Villazon, eröffnete das Mozarteumorchester die Mozartwoche mit einem mitreißenden Miniatur-Malstrom, in den man sich auch am Bildschirm hockend begeistert hineinreißen ließ. Das Konzert C-Dur für Flöte, Harfe und Orchester KV 299 war an diesem Abend sogar ein Augen- und Ohrenöffner: Die Interpretation der beiden Solisten – Xavier de Maistre Harfe und Mathilde Calderini Flöte – verpasste dem „Gelegenheitsstück für reiche Dilettanten“ bislang noch nicht erlebte klangrednerische Tiefe. Den Anteil der Dirigentin Keri-Lynn Wilson hätte man nicht in Frage gestellt (obwohl das Mozarteumorchester die „Kleine g-Moll“ auch mit ein paar Nickern des Konzertmeisters ganz allein hinfegen könnte), wären nicht die vokalen Nummern, gedacht als Herzstück des Abends, bar jeglicher Impulse vom Pult aus geblieben. Drei Konzertarien und zwei Ensemble-Stücke aus dem Figaro gesungen von Giulia Semenzato, Sopran, Rolando Villazón, Tenor und Luca Pisaroni, Bassbariton, blieben ohne Farbe und Leben. Da hätte ein wenig „Live-Atmosphäre“ vielleicht geholfen.