Stille Nacht
STICH-WORT
24/12/12 Fast kein Tag vergeht derzeit ohne Presseaussendung der Stille-Nacht-Gesellschaft, die Dichte erreicht in etwa jenen Buchstaben-Pegelstand, den Salzburger Parteisekretariate in Sachen Finanzskandal produzieren.
Von Reinhard Kriechbaum
Da sind uns die Meldungen in Sachen „Stille Nacht“ natürlich viel viel lieber. Sie passen auch gut in die Jahreszeit. Der jüngste amtliche Akt der Stille-Nacht-Gesellschaft: „In Oberndorf wurde die Bewerbung um das neue EU-Kulturerbesiegel unterschrieben.“ Immaterielles Weltkulturerbe ist das Lied ja schon, steht damit in einer Reihe mit Bräuchen wie der Knallerei der Schützen und dem Hundsstoaranggeln. Wieder dürfte keine Frage sein, wohin der Sympathie-Zeiger der den Frieden und die Ruhe liebenden Menschen weisen sollte.
Nun fehlt also noch das EU-Kulturerbesiegel. Die drei Entstehungsstätten des Lieds – Mariapfarr, Lamprechtshausen-Arnsdorf und Oberndorf bei Salzburg - bewerben sich gemeinsam. Die Stille-Nacht-Gesellschaft koordiniert den Vorstoß und sichert das einschlägige, nicht unwichtige Lobbying.
„Wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere Bewerbung im März 2013 von Bundesministerin Claudia Schmied als eine der Bewerbungen Österreichs für das EU-Kulturerbesiegel bei der Europäischen Union nominiert wird“; meint der Präsident der Stille-Nacht-Gesellschaft, Michael Neureiter. Es gehe um Impulse für den Tourismus – und um das „europäische Kulturerbe, das in der Verbreitung und der Praxis des aus Salzburg kommenden Weihnachtslieds ganz besonders zum Ausdruck“ komme.
Zu viel Publicity ist Michael Neureiter freilich auch nicht recht, denn mit T-Mobile hat er erst dieser Tage wegen eines Werbespots die Klingen gekreuzt. Verwunderlich eigentlich: In dem Spot verbindet das Smartphone Menschen – einsame Herzen in der Heiligen Nacht, die per Video-Schaltung gemeinsam „Stille Nacht“ singen. Innigere Kommunikation ist kaum möglich. Weiß der Teufel, warum der Präsident der Stille-Nacht-Gesellschaft sich deshalb so aufregt.
Aber einen Verdacht haben wir. Eben erst ist ja auch eine Aussendung mahnenden Charakters eingelaufen: Man möge doch, bitte, nicht nur die Strophen eins, zwei und sechs singen. Auch drei bis fünf hätten welthaltige Bedeutung. Neureiter: „Auch diese Strophen haben es in sich – das Heil für die Welt, die Völker der Welt, die Schonung aller Welt!”
Das ist es also. Die Protagonisten des Werbespots singen zwar in sechs verschiedenen Tonarten (das ist bei Weihnachtsliedern originale Aufführungspraxis), aber eben alle nur die erste Strophe. Dann küssen sie gerührt den Partner am Display. Die Chance, alle sechs Strophen in bester Sendezzeit unters Volk zu bringen ist damit vertan. Kein Wunder, dass der Stille-Nacht-Promotor die Stirn runzelt.