Die Alm geht, die Lieder bleiben
STICH-WORT / ALMLIEDER
07/09/11 Unlängst ging die Nachricht durch die Medien, dass aus den Almen zusehends wieder Wald wird. Wegen der rückläufigen Viehwirtschaft sind im letzten halben Jahrhundert 40 Prozent der Almfläche zugewachsen. Die singende Sennerin - ohne Sünde, versteht sich - ein Auslaufmodell?
Von Reinhard Kriechbaum
Die Almwirtschaft prägt das Landschaftsbild großer Teile der Tauerntäler. Seit vielen Generationen werden im Salzburgerland, speziell im Großarltal, zahlreiche Almhütten in den Sommermonaten bewirtschaftet. Vor allem im vorigen Jahrtausend verbrachten Sennerinnen mehrere Monate oftmals alleine in völliger Abgeschiedenheit. In Zeiten ohne Internet und Handy, ohne Fernseher und Radio waren sie sozusagen auf sich selbst zurück geworfen. Ein Wunder, dass speziell auf den Almen viel gesungen und gejodelt wurde?
Eine besondere Liedersammlung entstand nun unter Patronanz des Salzburger Volksliedwerks. Irmi Lederer kam als junge Lehrerin vor fünfzig Jahren ins Großarltal und lernte in ihrer vierzigjährigen Tätigkeit als Lehrerin und später Direktorin der Volksschule Hüttschlag die Freuden, Nöte und Sorgen ihrer Schüler und Eltern bestens kennen.
"Die über Generationen hinweg vorwiegend von Landwirtschaft, Montanwesen und Kleingewerbe geprägte Bevölkerung ist durch harte Arbeit auf steilen, schwer zu bewirtschaftenden Flächen eng mit der Natur und ihren Sonn- und Schattenseiten verbunden", erklärt die musikinteressierte Pädagogin. Das bedingt zum Überleben Tatkraft, Erfindungsreichtum und Optimismus. Diesen holen sich die Bewohner dieses Tales unter anderem durch den gegenseitigen Besuch auf den Almen, das „Z’såmmhuckn“ und das Miteinandersingen. Auf ihren Wanderungen und in manch froher Runde habe sie, so Irmi Lederer, "interessante Menschen, musikalische Originale und den Liedschatz des Großarltales" kennen gelernt.
Dem geeichten Sänger macht das Heftchen mit dem Trachten-Stoffdruck nachempfundenen Umschlag zuerst einmal Stirnrunzeln: Lieder wie "In die Berg bin i gern", "Der Summer is aus" oder "Wann du durchgehst durchs Tal" - um nur ein paar ganz prominente Melodien zu zitieren - finden sich so gut wie in jeder alpenländischen Liederbuchsammlung. Also gar nicht so originell, was die beflissene Frau Lehrerin da notiert hat? Das Ziel war ein anderes: Manche Texte unterscheiden sich, und manche Melodien haben leichte Varianten - in diesem Sinne ist die meist zweistimmig (Melodie mit Überstimme) gefasste Notensammlung tatsächglich so etwas wie ein Querschnitt durch das heute noch in einer begrenzten Region gesungene Liedgut, individuell "zurechtgesungen" eben. "Ein wichtiges Stück musikethnologischer Bewahrung regionaler Besonderheit", heißt es dazu beim Salzburger Volksliedwerk. Und Irmi Lederer über ihre Beobachtungen: Es gebe "bereits zwischen Großarl und Hüttschlag verschiedene Fassungen von text und Melodie". Das habe sie bei ihrer Sammlungstätigkeit oftmals erstaunt und es habe sich beim Aufschreiben die Frage gestellt, wie denn nun das jeweilige Lied "endgültig notiert werden sollte".
Das Heft hat nicht den Anspruch, ur-eigenes Liedgut aus dem Großarltal zu dokumentieren. Dazu wäre die Perspektive wohl zu klein. Die Publikation „Von da hohen Ålm auf die Niadaålm“, steht nicht zuletzt für die bis heute geübte, nachhaltige Praxis der mündlichen Überlieferung. Irmi Lederer bekräftig: "Diese vielen Varianten sind der beste Beweis, dass das Volkslied lebt!"