Bruckners „Schularbeit“
STICH-WORT
08/11/24 Wenn schon Bilokation nicht geht, vielleicht sollte man es wenigstens mit ein wenig hin- und her beamen versuchen dürfen? Am Sonntag (10.11.) Vormittag wäre das dringend notwendig, zwischen dem Großen Festspielhaus und dem Großen Saal des Mozarteums.
Von Reinhard Kriechbaum
Auf der einen Seite der Salzach dirigiert Hans Graf in der Matinee des Mozarteumorchesters Bruckners Neunte. Auf der anderen Seite spielt zeitgleich das Orchester der Salzburger Kulturvereinigung unter Helmut Zeilner ein Werk des Jahresregenten, das man ganz selten mal zu hören bekommt, die Studiensymphonie. Wahrlich kein Meisterstück der Programm-Koordinierung.
Die Symphonie in f-Moll schrieb Bruckner 1863 noch in Linz, als Abschlussarbeit seines Studiums der Formen und Orchestrierung bei Otto Kitzler (1834-1915), der damals als Kapellmeister am Linzer Theater engagiert war. Bruckner, zehn Jahre älter als Kitzler und bereits Domorganist, nahm ab 1861 Unterricht bei dem gebürtigen Dresdner. Der hat ihm den Horizont in Richtung Mendelssohn, Schumann und Wagner erschlossen. Damals entstanden Skizzen für eine Symphonie d-Moll, die als Nullte 1869 Gestalt annahm. „Schularbeiten“, wie bruckner später abschätzig sagte, waren das einzige Streichquartett und eben jene Symphonie, die Bruckner wenige Jahre später nicht mehr im Kanon seiner Kompositionen sehen wollte. Zuvor hatte er sich vergeblich um eine Aufführung des Werks bemüht.
Das (nicht ganz vollständige) Autograph befindet sich im Stift Kremsmünster, eine Abschrift der Sätze eins, zwei und vier von Bruckners Hand in der Musiksammlung der Wien-Bibliothek. Diese Partitur und das Scherzo aus Kremsmünster ergeben also die ganz Symphonie, die erst 1925 durch das Berliner Philharmonische Orchester in geschlossener Form uraufgeführt wurde. Partitur und Stimmen erschienen erst 1973 im Druck.
Der Name Studiensymphonie geht übrigens nicht auf Bruckner zurück. Den gab ihr erst der Herausgeber Leopold Nowak. Übrigens ist auch Bruckners Widmung der Neunten Symphonie „an den Lieben Gott“ nicht schriftlich verbürgt. Nur mündlich, so heißt es, habe er sich in diesem Sinne geäußert. Nachdem er die Siebente dem Bayernkönig Ludwig II. und die Achte Kaiser Franz Joseph gewidmet hatte, blieb Bruckner nach seinem Obrigkeitsverständnis wohl nur der Gottöberste. Die „Majestät aller Majestäten“, wie es Bruckner am Krankenbett formuliert haben soll.
Otto Kitzler und Bruckner blieben bis zu Bruckners Tod 1896 befreundet. Kitzler, damals in Brünn tätig, schrieb zu dem Anlass eine Trauermusik. Dem Andenken Bruckners.
Sonntagsmatinee des Mozarteumorchesters am 10. November um 11 Uhr im Großen Festspielhaus. Hans Graf dirigiert die „Neunte“ und das Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Brahms – www.mozarteumorchester.at
Sonntagsmatinee des Orchester der Salzburger Kulturvereinigung unter Helmut Zeilner am 10. November um 11 Uhr im Großen Saal des Mozarteums. Da ist neben der „Studiensymphonie“ unter anderem ein weiteres Werk eines Jahresregenten, Puccinis „Preludio sinfonico“ zu hören – www.kulturvereinigung.com
Bild: Wikimedia / Joseph Löwy