Die Sicht des neuen Festspiel-Intendanten
FESTSPIELE / IM WORTLAUT / ALEXANDER PEREIRA
Von Alexander Pereira
11/11/11 (…) So hatte ich als Bewunderer und kritischer Beobachter der Salzburger Festspiele das Gefühl, dass im Opernbereich zu viele Wiederaufnahmen das Programm bestimmten und darunter die Einmaligkeit und Außergewöhnlichkeit eines Festspielsommers zu leiden haben.
Ich bin überzeugt, dass ein Festspiel jedes Jahr einmalig sein sollte. Das heißt, dass die Premieren nur in dem jeweiligen Jahr gespielt werden. Dies wird die Erwartungshaltung auf jedes Festspieljahr wesentlich steigern. Wiederaufnahmen, die ich im Einzelfall nicht ausschließen möchte, machen für mich nur dann Sinn, wenn das gleiche Team, das die Aufführung erarbeitet hat, diese auch weiter betreut.
Eine Neuproduktion anstelle einer Wiederaufnahme auf die Bühne zu bringen, kostet etwa 650.000 bis 800.000 Euro mehr, um Bühnenbild, Kostüme, die Gagen für Regisseur, Bühnen und Kostümbildner zu finanzieren. Drei Neuproduktionen statt Wiederaufnahmen kosten somit 2 bis 2,4 Millionen Euro mehr.
Gestatten Sie mir, Ihnen einen kleinen Einblick in die Budgetsituation von 2011 zu geben. Um zu einem ausgeglichenen Ergebnis zu kommen, musste die Kunst bei einer Subvention von 13 Millionen Euro und Sponsoren- und Förderererlösen von 8,5 Millionen einen Deckungsbeitrag von ca. 1,5 Millionen erwirtschaften. Das heißt, dass die Kartenerlöse aus den Veranstaltungen 1,5 Millionen höher sein mussten als die künstlerischen Ausgaben. Wenn ich jetzt drei Neuproduktionen statt Wiederaufnahmen herausbringe, müssen 2012 anstelle von 1,5 nun 3,5 bis 4 Millionen Euro mehr erwirtschaftet werden. Dazu kommt noch die jährliche Lohnkosten-Steigerung von 0,4 bis 0,5 Millionen Euro, die in den letzten zehn Jahren nur zweimal angeglichen worden ist.
Mit anderen Worten: Würden wir nicht eine Neuorientierung der Salzburger Festspiele durch Direktorium und Kuratorium in Angriff nehmen, müssten wir jedes Jahr aufgrund der Kostensteigerung eine Produktion wegstreichen, um von der bisherigen Budgetbasis von 2011 weiterhin die 1,5 Millionen Euro Deckungsbeitrag aus der Kunst garantieren zu können. Bei Beibehaltung des alten Konzepts würden die Salzburger Festspiele bald nicht mehr neu produzieren können.
Wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren intensiv um neue Geldgeber bemüht und auch die bisherigen Hauptsponsoren gebeten, den neuen Kurs mitzutragen. Die Ausgangsüberlegung war folgende: Sollte es gelingen, etwa 4 bis 5 Millionen Euro mehr durch Sponsorengelder und Kartenerlöse zusätzlich aufzubringen, werden wir in der Lage sein, die Latte dorthin zu legen, wo sie meiner Ansicht nach für die Salzburger Festspiele infolge ihres Anspruchs als bedeutendstes Festival der Welt liegen muss.
Allerdings werden auch die Subventionsgeber nicht daran vorbeikommen, die Tariflohnerhöhung zukünftig wieder auszugleichen, da sonst Jahr für Jahr aus Sponsoring und Kartenerlösen ein immer größerer Betrag aufgebracht werden muss, andernfalls ein Schrumpfen des Festivals nicht zu verhindern ist.
(…) Selbstverständlich ist es so, dass die Konzentration auf Neuproduktionen für die großen Dirigenten äußerst attraktiv ist – insbesondere in den Projekten mit den Wiener Philharmonikern. Ich plane, dieses Orchester durch vier Opernpremieren und fünf verschiedene Konzertprogramme ins Zentrum der Festspiele zu stellen. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass sich das Orchester – als ich die Pläne der ersten drei Jahre präsentierte – sofort bereit erklärt hat, einen neuen Vertrag abzuschließen, der seine Präsenz in Salzburg deutlich erhöht.
Ich sehe es als eine wesentliche Aufgabe der Salzburger Festspiele, im Bereich der zeitgenössischen Musik wichtige Signale zu setzen, und möchte von 2013 bis 2016 jährlich eine Opernuraufführung auf die Bühne bringen. Da wir heute diese vier Auftragskompositionen bereits vergeben und durch Beiträge von Sponsoren finanziert haben, sind wir diesem Wunsch deutlich näher gekommen.
Im Konzertbereich werden wir die außergewöhnliche Linie unserer Vorgänger in Bezug auf das Engagement für zeitgenössische Musik fortsetzen. In diesem Jahr heißen die Schwerpunkt-Komponisten Bernd Alois Zimmermann – mit der Aufführung seiner Oper Die Soldaten und den Konzerten um diese Oper herum –, Heinz Holliger, der zwei Auftragswerke für diesen Festspielsommer komponiert, sowie Witold Lutos?awski, dessen Werke u.a. auch von den Berliner Philharmonikern und dem Cleveland Orchestra präsentiert werden.
Einen neuen Schwerpunkt möchte ich in Salzburg mit geistlicher Musik setzen. Die Idee zu dieser Ouverture spirituelle, zu der ich Sie schon fünf Tage früher nach Salzburg bitte, ging gewissermaßen von der Stadt selbst aus, die mit ihren wunderschönen Kirchen geradezu prädestiniert dafür ist, den liturgischen Werken, die zunächst aus den ihnen zugedachten sakralen Räumen in den Konzertsaal verbannt und von dort immer mehr an den Rand gedrängt wurden, wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Und viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten wie Sir John Eliot Gardiner, der zum Auftakt auf meinen persönlichen Wunsch Haydns „Creation“ dirigiert, sowie Claudio Abbado, den wir mit dieser Programmidee wieder nach Salzburg zurückholen können, haben uns dabei unterstützt. Für Nikolaus Harnoncourts Aufführung von Mozarts „Missa longa“ werden die alten Gobelins aus der Entstehungszeit dieser Werke wieder im Dom aufgehängt und somit die ursprüngliche Akustik wiederhergestellt.
Wir wollen uns aber nicht nur auf die katholische und protestantische Tradition beschränken, sondern in jedem Jahr eine andere Konfession und deren Musik zu uns einladen und in Diskussionsveranstaltungen nicht nur das Thema Musik und Religion, sondern auch das Verhältnis der Konfessionen untereinander miteinander erörtern. Im Jahr 2012 soll die jüdische Religion im Vordergrund stehen.
In den Konzertprogrammen, die unser Leiter der Konzertplanung, Matthias Schulz, mit mir mit viel Liebe gestaltet hat, war es uns wichtig, Querverbindungen einmal unter den verschiedenen Konzertreihen selber herzustellen wie auch Bezüge zu den Opern- und Schauspielaufführungen zu kreieren. Künstlerschwerpunkte sollen sich durch die Programme der nächsten Jahre ziehen. Das Motto lautet: Lieber mit wenigen viel als mit vielen wenig.
(…) Besonders am Herzen liegt mir, in den kommenden Jahren zudem spartenübergreifend Akzente in den Veranstaltungen für unsere jüngsten Besucher zu setzen. Zum einen wird es speziell für Kinder bearbeitete Fassungen von Opern geben (2012 Die Zauberflöte), zum anderen wird dafür gesorgt werden, dass Kinder sich während des Opernbesuchs ihrer Eltern dieses Werk selber spielerisch erarbeiten – Opera viva!
Noch ein Hinweis zum Abschluss der Festspiele. Wir wollen diesen jeweils besonders glanzvoll gestalten. Um Sie zu animieren, entweder länger zu bleiben oder wieder zu kommen. Es wird deshalb Opernpremieren geben, die eigens in den letzten 14 Tagen herauskommen, sowie ein eindrucksvolles Orchesterfinale – und am jeweils letzten Samstag den künftig jährlich stattfindenden Festspielball, auf dass Sie noch einen wunderbaren Festspielausklang in Salzburg genießen können. (…)