Im altmodischen Outfit?
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
11/11/11 Man reibt sich die Augen: Einen Programm-Leporello, mit den Namen der Dirigenten und der Regisseure vorne drauf – so ein Ding hielt man zuletzt in der Karajan-Ära, also in den achtziger Jahren in Händen. Und man hat es schon damals als altmodisch eingestuft. Was für Festspiele lässt ein solches Faltblatt erwarten?
Aber es kommt allemal auf die Inhalte und nicht aufs Aufmascherln an. Wer das anders sieht, von dem gibt es vermutlich keine Vorschusslorbeeren für Alexander Pereira, der sich als Festspielmacher von altem Schrot und Korn einführt.
Nicht, dass er große Schritte in die Vergangenheit gemacht und vor dem Neuen die Rollos heruntergelassen hätte: Für 2012 ist sich zwar kein Opern-Auftragswerk mehr ausgegangen (ab 2013 soll es jeden Sommer eine Opern-Uraufführung geben), aber mit den „Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann hat man ein Schlüsselwerk aus dem 20. Jahrhundert im Angebot. Und dazu auch gleich einen neumodernen Regisseur (Alvis Hermanis).
Über Heinz Holliger als maßgeblichen Vertreter der zeitgenössischen Komponistenzunft mag man die Nase rümpfen – aber Holliger ist nun mal der einzige moderne Schweizer, den man derzeit herzeigen kann auf diesem Level. Und ein Schweizer musste es vermutlich sein, nicht zuletzt wegen Pereiras guter Sponsoren-Verbindungen. Sei’s drum.
Was zuletzt „Kontinent“ geheißen hat, führt Pereira mit immerhin elf Terminen unter der Marke „Salzburg Contemporary“ weiter. Statt der kammermusikalischen „Szenen“-Reihe gibt es einen neunteiligen Dvorak-Schwerpunkt („Über die Grenze“). Ob und wie sich die von Pereira angesprochenen programmatischen Querverbindungen erschließen werden, bleibt abzuwarten, das kann erst der Praxistest zeigen.
In den vergangenen Monaten ist sehr kontrovers diskutiert worden, ob es statthaft sei, sich in Zeiten wie diesen wirklich sieben Opernpremieren zu leisten und auf Wiederaufnahmen zu verzichten. So gut Markus Hinterhäuser als Intendant 2011 eben auch die Wiederaufnahmen gelungen sind: Man darf man darüber nicht vergessen, dass gerade sie über Jahre ein Schwachpunkt waren. Die Dirigenten und Premierenbesetzungen waren nach dem ersten Jahr dahin, und dirigierende und singende Bürscherlpartien haben nicht selten zuerst gute Aufführungen festspielunwürdig zu Tode geritten. Dem setzt Pereira den „Originalanspruch“ einer Produktion entgegen. Wenn ein Dirigent und ein Regisseur mit einer ausgewählten Sängerbesetzung etwas gemeinsam geschaffen hätten, könne man dann nicht quasi lebendes Schach spielen und Positionen ersetzen. „Wer 2012 nicht bei den Festspielen ist, hat etwas versäumt“, sagt Pereira selbstbewusst. Auch das ist eine legitime Strategie. Und solange es Sponsoren gibt, die den Kunst-Luxus möglich machen, solange man es sich leisten kann, die hohen Preiskategorien noch anzuheben und solange trotzdem Publikum kommt, soll es recht sein. Helga Rabl-Stadler im Pressegespräch am Freitag (11.11.): 58 Prozent der Festspielkarten seien für unter 100 Euro zu haben.
Große Namen sind da – und natürlich sind sie auch deshalb da, auf dass die Festspiele mit ihnen Geld verdienen. Schubert-Freaks mögen müde gähnen, wenn ihnen eine Spätabends-Reihe „Daniel Barenboim spielt Schuberts letzte drei Klaviersonaten“ vorgesetzt wird. Aber das Große Festspielhaus wird ausverkauft sein, jede Wette. Es kommen keine Gergiev-Festspiele, wie unlängst kolportiert wurde. Und Carreras? Er ist eben ein Publikumszugpferd am letzten Wochenende, das schon in den September hinein reicht. Der Pferdenarr Alexander Pereira weiß schon, auf welche Gäule er setzt. Aufatmen: An Riccardo Muti führt zu Ferragosta auch 2012 kein Weg vorbei.
Die „Ouverture spirituelle“, der Kirchenmusik-Schwerpunkt, mit dem die Festspiele quasi vorab in Verlängerung gehen? Auch das ist nicht verwerflich. Eine „Schöpfung“ unter Gardiner am 20. Juli sollte ausverkauft sein, einen „Messias“ in der Mozart-Fassung unter Daniel Harding wird man überstehen. Zubin Mehta mit para-jüdischer Musik, Schönberegs „Kol Nidre“ etwa oder Ernest Blochs „Avodath Hakodesh“ etwa – das macht Appetit. Und Mozart unter Harnoncourt im Dom? Da fällt einem ein, dass man unter ihm an diesem Ort bei den Festspielen einst Monteverdis „Marienvesper“ gehört hat. Das ist bald zwanzig Jahre her, und Harnoncourt (damals um die Sechzig) war gerade Newcomer bei den Festspielen, weil Karajan ihn angeblich als „zu jung“ für sein Festival einstufte.
So viel zum Thema altmodisch. Pereiras erster Festspielsommer lässt keine avantgardistischen Posaunen von Jericho ertönen und wird keine Traditionsmauern einstürzen lassen. Aber man ist als potentieller Hörer und Seher schon deutlich mutloser dem Sommer zugestrebt.