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So allein, voll Pein!

FESTSPIELE / LIEDERABEND GERHAHER, HUBER

01/08/24 Hinein aus dem 28 Grad-Abend ins Haus für Mozart, zu Christian Gerhaher, Gerold Huber und mit den beiden in den garantiert schattigen, wenn nicht zapfendusteren deutschen Wald. Wie oft kam dieser am Mittwoch (31.7.) wohl vor in der Blüten-, pardon Stamm-, Blätter- und Unterholz-Auslese mit Akzent auf dem Spätwerk von Robert Schumann.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Urtextausgabe der Schumann-Lieder bündelt diese in drei Bänden. Dichterliebe, Frauenliebe und -leben, bestenfalls noch der Eichendorff-Liederkreis, dazu Highlights wie die Mondnacht... das war's ja meistens schon. Wer blättert weiter in die Bände zwei und drei? Der Bariton Christian Gerhaher und sein Intimus am Klavier, Gerold Huber, sind derzeit die Schumann-Spezialisten schlechthin. Sie haben alles schon aufgenommen, satte 11 CDs brauchte es dafür. Was den beiden besonders wichtig ist bei ihrer Exegese vor allem des späteren Schumann: Nicht die vermeintlichen Rosinen herauszupicken, sondern die Lieder in jener Abfolge, in jenen kleinen Zyklen zu belassen, wie sie der literarisch hoch sensible Komponist gebündelt hat.

Titus Ullrich, Wolfgang Müller von Königswinter, Gottfried Kinkel, Gustav Pfarrius, Wilfried von der Neun – ihre Gedichte haben wohl nur überlebt, weil Schumann sie vertont, ihr musikalisch-dramatisches Potential aufgespürt und „im feineren musikalischen Stoffe nachgewirkt“ hat, wie er es selbst einmal formulierte. Und da surren im Klavier auch schon die Spinnräder, weil die Mädchen – „Hat jedes seinen Herzbuben“ – an ihrem „Brautschatz“ werken. Eine einzige, die dem vierten der Sechs Gesänge op. 107 titelgebende Spinnerin, verdrückt Tränen. Kein Bursche in Sicht, dieweil sich auch ihr Spinnrad unerbittlich dreht. Solche Episoden der Stimmungsbrüche sind immer große Minuten für den Pianisten Gerold Huber.

Gerhaher hat ja das Nachtschattige geradezu abonniert, und da schlüpft er in Schumanns Musik wie in einen Maßanzug. Da mögen Im Wald die Falter flattern, die Vögel fliegen oder die Rehe zieh'n – der Schumann'sche Wanderer ist „so allein, voll Pein“. Irgendwie landen alle, die Schumann alias Gerhaher durch den deutschen Tann streifen lassen, im düstersten Unterholz der Seele. Gerhaher drückt dabei nicht auf die Tränendrüsen, und wenn doch einmal, dann findet gewiss sein Klavierpartner aufhellende Töne (oder genau umgekehrt). Ein Programm aus 35 Liedern, von denen gefühlt 25 vom Verzweifeln an der Liebe und der Rest vom Überdruss an der Welt handeln, muss man erst so rüberbringen.

Kopfüber und mit beinah masochistischer Lust abtauchen in die Seelenabgründe der Romantik. Da verkraftet es schon einen starken Schuss Bizarrerie (Drei Gedichte aus den Waldliedern op. 119). In der Warnung versteckt sich ein deutlicher politischer Hinweis, denn dem tirilierenden Vögelein ist nächtens der „finstre Schuhu“ auf der Spur, Anspielung auf die Zensur in der Zeit der 1848er-Revolte.

Christian Gerhaher hat den Umgang mit Schumanns kreativ-unberechenbarer Wortmelodie verinnerlicht. Vokale bekommen prägende Färbungen, einzelne Wörter werden hervorgehoben, ohne dass der Melodiebogen verloren ginge. Maßhalten bei schauerromantischen Sprachbildern, Hervorkitzeln musikalischer Linien auch wenn es sich fast um Sprechgesang handelt (Schumanns späte Lieder halten Winkelzüge sonder Zahl bereit): Zwischen diesen Polen vermittelt Christian Gerhaher so souverän wie derzeit wohl kein anderer Liederinterpret. Und dazu die pianistischen Subtexte, die Gerold Huber so unüberhörbar modelliert! Näher an der dauer-ramponierten, aufmöbelungsbedürftigen Seele der rheinischen Romantik kann man nicht sein.

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

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