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Pferde-Hinterteil

FESTSPIELE / STERNSTUNDEN DER MENSCHHEIT

28/07/24 Was da ständig mit Getöse herumrollt, ist das das Rad der Geschichte? Aber das gehört Thomas Bernhard und seinem Buscon. Vielleicht eine donnernde Anspielung? Das Salzburger  Landestheater ist immerhin der gemeinsame Nenner. Der Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks Odysse im Weltraum scheint als Lautsprecher einen Cameo-Auftritt zu haben...

Von Heidemarie Klabacher

Ein großer Ärger im Theater – wenn man am Ende das Stück nicht kennt. Ein gewohnter Ärger im Theater – wenn das „Stück“ gar kein Stück ist. Der größte Ärger im Theater – wenn sich ein Irgendwer auf einen großen Autorennamen und ein berühmtes Werk draufsetzt und ein Irgendwas draus macht. Nennt man sowas Aneignung? All das gilt für die warum auch immer so betitelte Festspielproduktion Sternstunden der Menschheit, der einige poetische Momente nicht abgesprochen und deren musikalische (!) Qualitäten sogar ausdrücklich betont werden sollen.

In der Stefan Zweig-Stadt Salzburg was mit Stefan Zweig zu machen ist lobenswert. Danke Festspiele. Wenig ergibig war es, dem Regisseur und Sounddesigner Thom Luz die Sternstunden der Menschheit für eine Bühnen-Adaption anvertraut zu haben. Es umfassen die zuletzt insgesamt 14 historischen Miniaturen teils gewaltige Szenarien (Die Weltminute von Waterloo, Die Eroberung von Byzanz) die, beim Dichterwort genommen, die Schlachtendramen eines Shakespeare als Ausstattungschlachten in den Schatten stellen müssten. Einige blicken auch in Seelentiefen (Die Marienbader Elegie). Diese würden Subtilität erfordern.

Man muss die teils durchaus pathetisch daherkommenden, aber überaus eindrücklichen Texte Zweigs schon sehr sehr gut im Kopf haben, um im Wust der Texte-Anhäufung (Schnipsel aus Briefen Zweigs, aus Die Welt von Gestern, aus Zitaten von Zeitgenossen) von Thom Luz ein paar Sternsekunden oder den einen oder anderen Satz aus Zweigs Vorwort zu erkennen. Inhaltliche Quintessenz am Samstag (27.7.) bei der Premiere im Landestheater: Stefan Zweig hat sich zusammen mit seiner zweiten Frau Friderike Maria Zweig am 22. Februar 1942 in Petrópolis in Rio de Janeiro in Brasilien das Leben genommen. Eh richtig. Leider.

Der meiste Text kommt vom Band. Die Leutlein auf der Bühne von Duri Bischoff (es könnte der Schrottplatz eines Museums sein) sind vor allem damit beschäftigt, Gerümpel herzumzutragen, Artefakte zu schlichten, zu schleudern, am Schluss sogar wegzuräumen. Aber da hilft das Backstage-Personal ein wenig mit. Ob die Pferde-Teile für das Pferd Grouchys stehen? Der General darauf hat jedenfalls mit seinem Zögern Napoleon in den Abgrund gerissen und damit vermutlich „unser“ Europa mitgestaltet. Was da ständig mit Getöse herumrollt, ist das das Rad der Geschichte? Aber das gehört Thomas Bernhard und Buscon. Vielleicht eine donnernde Anspielung? Das Landestheater ist immerhin der gemeinsame Nenner. Der Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks Odysse im Weltraum scheint als Lautsprecher einen Cameo-Auftritt zu haben... Es ist nichtig, darüber nachzudenken. Weil man aber für sehr lange eineinhalb Stunden ohnehin festsitzt, übt man sich halt im „Dechiffrieren“.

Erhellend und reizvoll ist die Bühnenmusik von Mathias Weibel (Komposition und musikalische Leitung). Er lässt in unpassendsten Momenten eine Marching-Band mit Hörnern, Gitarre, Klarinette oder Posaunen live durch die kulturelle Abraumhalde ziehen. Ein paar Takte „Halleluja“ oder aus der Arie „Das Volk das da wandelt im Dunkel“ verweisen auf den Komponisten und die ihm geltende Sternstunde Georg Friedrich Händels Auferstehung: Händel hat sich mittels Messias aus einem Tief am Ende seiner Karriere herauskomponiert. Eine der wenigen Zweig'schen Sternstunden übrigens, die nicht in Untergang, Versagen oder Tod münden. Wirklich bewegend: Die von einer Schauspielerin auf Portugisisch gesungene Totenklage für Stefan und Friderike Zweig. Das waren die Sternminuten des Abends.

Apropos Tod: Auf dem Sterbebett der Zweigs liegen bleibt am Ende des Stücks ein großformatiges Buch im Cover der „Salzburger Ausgabe“ der Werke Zweigs erscheinend bei Zsolnay. Subtil das. Hätte Thom Luz sein Bemühen unter eigenem Namen als „Zweig-Pasticcio“, „Ein tragisches Leben in irren Bildern“ oder „Stefan Zweig reloaded“ oder sonstwie genannt, würde man auch nichts über den Autor und sein Werk gelernt, die Verwunderung sich aber im untersten Grenzbereich gehalten haben. Wie schreibt Stefan Zweig in der „Weltminute“ so schön: Manchmal falle „der Faden des Fatums für eine zuckende Minute in eines ganz Nichtigen Hand“. Pferde-Hinterteil ist übrigens eine Anspielung der Rezensentin. Auf James Bond.

Sternstunden der Menschheit – Aufführungen im Landestheater bis 8. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Sandra Then

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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