Tante Leni kam nach Maxglan
FESTSPIELE / DICHTER ZU GAST
10/08/10 Der „Dichter zu Gast“ - Claudio Magris, der italienische Germanist und Schriftsteller aus Triest - sorgte für wertvolle Nachhilfestunden in österreichischer Zeitgeschichte. Am Montag (9.8.) ging es um das „Zigeunerlager“ Maxglan.Von Werner Thuswalnder
Die Unkenntnis darüber in Salzburg ist erstaunlich und nur damit zu erklären, dass die Erinnerung schmerzt und der Wunsch groß ist, es möge Gras über die Geschichte wachsen.
Inzwischen ist aber doch sehr viel Recherche betrieben worden, und wer willens ist, kann nachlesen, was es mit dem „Zigeunerlager“ von Maxglan auf sich hatte. Den größten Anteil an der Klärung hat der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer, der sich hartnäckig dem Thema widmet.
Voriges Jahr wurden in der Nähe des einstigen Lagerstandorts (er befindet sich nicht in Maxglan, sondern in Leopoldskron-Moos), westlich vom Südende der Landebahn des Flughafens, an der Brücke des Schwarzgrabenwegs über die Glan „Stolpersteine“ verlegt. Auf ihnen sind die Namen von Kleinkindern verzeichnet, die im Lager zur Welt gekommen waren und wenig später in Auschwitz ermordet wurden. In Auschwitz bekamen die Vielen, die aus Salzburg dorthin deportiert worden waren, eine Nummer, es ging darum, sie als Wesen ohne Identität zu eliminieren. Kerschbaumers Arbeit zielte und zielt darauf ab, den Opfern die Namen zurückzugeben. Nahe den Stolpersteinen steht ein Denkmal von Zoltan Pap. Im Sockel des Mahnmals befindet sich eine Lautsprecheranlage, die startet, sobald ein Fußgänger vorbeigeht. Dann ist die Verlesung der Namen der Ermordeten aus dem „Zigeunerlager“ von Maxglan zu hören. Leider funktioniert das seit Längerem nicht mehr. Die „Radiofabrik“, die dafür zuständig ist, sollte sich darum kümmern.
Gert Kerschbaumer saß am Montag mit anderen auf dem Podium des Filmkulturzentrums „DAS KINO“. Dort waren zuvor Filme von Nina Gladitz gezeigt worden. Von ihr stammt der Dokumentarstreifen „Die Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“, in dem die Insassen des Lagers zum Thema werden.
Hier wurden von 1938 bis 1943 rund 250 Sinti festgehalten und zur Arbeit – vor allem zum Bau der Autobahn – verpflichtet. In diesen Jahren arbeitete die deutsche Regisseurin Leni Riefenstahl an dem Film „Tiefland“, der auf dem Stoff der gleichnamigen Oper von Eugene d’Albert beruht. Sie wollte ihn in Spanien drehen, stieß aber auf Schwierigkeiten, so dass sie nach Mittenwald in Bayern auswich. Sie brauchte viele südländisch aussehende Mitwirkende, die sie aus dem „Zigeunerlager“ in Maxglan persönlich aussuchte.
Es waren 51 Kinder und Erwachsene, die an den Drehort gebracht wurden. Dies geschah zu einer Zeit, als die Lagerinsassen bereits genau wussten, was die Nazis mit ihnen vorhatten: Deportation in die Vernichtungslager. Übrigens spielte die Riefenstahl in dem Film die Hauptrolle, eine Zigeunerin. Kollegen der Riefenstahl in dem Film waren der von Thomas Bernhard und in der Nazizeit überaus geschätzte Schauspieler Bernhard Minetti und Karl Skraup, dem das Wiener Volkstheater jährlich eine Gedenkveranstaltung widmet.
Den Sinti war Bezahlung versprochen worden und, was ihnen noch viel wichtiger war: dass „Tante Leni“, wie sie die Riefenstahl nannten, sie mit ihrer ausgezeichneten Beziehung zu Adolf Hitler aus dem Lager befreien werde. Die Riefenstahl versprach es ihnen. Tatsache ist, dass sie nicht bezahlt wurden und dass fast alle von ihnen ermordet wurden.
Leni Riefenstahl leugnete nach 1945 das alles. Sie behauptete, sie habe alle Sinti und Roma, die an dem Film „Tiefland“ mitgewirkt hätten, nach dem Krieg wieder gesehen. Der Dokumentarfilm von Nina Gladitz zeichnet ein sehr kritisches Bild der Regisseurin als eine Ausnahmekünstlerin, die im Unterschied zu anderen Künstlern Macht hatte. Sie blendet allerdings auch ein Foto ein, das das entsetzte Gesicht der Riefenstahl zeigt, in dem Moment, da sie 1939 in Polen Zeugin eines Massakers an Juden wurde.
Nina Gladitz wurde, als ihr Dokumentarfilm fertig war, von der Riefenstahl geklagt. Das Gericht gab Nina Gladitz in einem Verfahren das sich über vier Jahre hinzog, in drei von vier Punkten Recht.
An der denkwürdigen Veranstaltung am Montag im voll besetzten Kinosaal nahm auch Rosa Gitta Martl teil. Sie ist die Tochter einer Frau, die in Riefenstahls „Tiefland“ mitgewirkt hat. Die Lebensgesichte der Mutter ist in Buchform erschienen. Daraus las Rosa Gitta Martl einige erschütternde Passagen.