Dr. Hohenadl sucht eine Haushaltshilfe
SATIRE
28/10/24 Dr. Hohenadl war bestürzt, als ihm Frau Besjana kündigte. Es war für ihn unfassbar. Er verstand zunächst gar nicht, was sie ihm sagen wollte. Ähnlich unglaubwürdig wäre es ihm erschienen, hätte die Staatsoper mitgeteilt, sie werde ihren Betrieb einstellen.
Von Werner Thuswaldner
Er hatte Frau Besjana bei seinem Einzug in die Wohnung übernommen. Frau Besjana kam jede Woche am Dienstag, machte ihre Arbeit und bekam dafür das ausgemachte Geld. Sie sorgte für Sauberkeit und Ordnung, sie bügelte auch die Hemden. Und nun wollte Frau Besjana nicht mehr.
Ja, er war desperat, weil sie kündigte, aber noch größer war seine Beschämung. Was wusste er denn über Frau Besjana? Fast gar nichts. Hatte er sich ihr gegenüber wie ein anständiger Mensch verhalten? Anständig vielleicht schon, aber wie jemand ohne Einfühlungsvermögen und ohne Anteilnahme. Also doch wie ein Barbar. Er erinnerte sich an damals, als er zum ersten Mal ihren Namen hörte: Besjana. Er nahm als Eselsbrücke das Wort „Persianer“ und nannte sie fortan Frau Bersjana.
Dass sie aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte, hatte er irgendwann einmal mitbekommen. Ihre Familienverhältnisse waren ihm völlig unbekannt. „Sie erledigte ihre Arbeit stets zu voller Zufriedenheit“, hätte er in ein Zeugnis geschrieben, falls sie eines verlangt hätte. In drei Wochen wollte sie weg sein. Zurück nach Mitrovica. Ihr Vater brauche sie, er sei pflegebedürftig geworden. Er habe damals im Krieg ein Bein verloren und jetzt leide er unter einer zunehmenden Lähmung des verbliebenen Beins.
War das nur ein Vorwand? Wollte sie den Dienst bei Dr. Hohenadl einfach loswerden? Hatte er sie zu schlecht bezahlt? Nun ja, eine Lohnerhöhung wäre während der fast zehn zurückliegenden Jahre höchst angebracht gewesen. Aber Frau Bersjana hatte sich ja nie beschwert. Jetzt, im ersten ausführlichen Gespräch, das er mit ihr führte, kam an den Tag, dass sie vor zehn Jahren, nachdem sie nach Wien gekommen war, in verschiedenen Familien im Haushalt geholfen habe. Das tue sie aber schon lang nicht mehr. Sie arbeite längst in einem Röntgeninstitut als Assistentin. Nur ihm, Dr. Hohenadl, zuliebe habe sie die Arbeit in seinem Haushalt weitergemacht.
Dr. Hohenadl unternahm zunächst gar nichts. Aber schon nach zwei Wochen stellten sich unangenehme Zeichen ein. Klebrige Stellen auf der Tischplatte in der Küche, Anhäufungen ungebügelter Wäsche, federleichte Zusammenballungen von Staub, die bei Luftzug wie Mäuse durch den Raum huschten, immer unansehnlicher aussehende Waschbecken im Bad usw. Dr. Hohenadl beschloss dagegen anzukämpfen, mit Staubsauger, Wischlappen, Bügeleisen, Bürsten
und Lappen. Die ungewohnte Arbeit war anstrengend für ihn, machte ihn aber ein bisschen stolz, weil sie ihm fast so gut gelang wie der abtrünnig gewordenen Frau Bersjana. Selbst das Bügeln, das er einst als Jugendlicher unter fachkundiger Anleitung gelernt hatte, ging ihm zügig von der Hand. Und im Kopf rechnete er aus, wie viel er sparte, weil die Zahlung an Frau Bersjana entfiel.
So hielt Dr. Hohenadl einige Zeit durch. Aber er wurde nachlässig und sofort machten sich in der Wohnung die entsprechenden Anzeichen bemerkbar. Immer öfter manifestierte sich vor Dr. Hohenadls innerem Auge die Horrorvorstellung, wie sich das unabgewaschene Geschirr in der Küche stapelte, Lebensmittelreste vergammelten und wie eine Schimmelschicht anfing, wie der Haferbrei im Märchen seine ganze Wohnung zu überziehen. Dr. Hohenadl musste eine weitere Kraftanstrengung unternehmen, um den Angriff des Chaos und seinen eigenen Abstieg zum Sandler abzuwehren.
Er brauchte Hilfe, er musste Ersatz für Frau Bersjana finden. Aber wie? Das Formulieren eines Inserats in der Gratiszeitung bereitete ihm größte Schwierigkeiten. Wen suchte er? Was war Frau Bersjana gewesen? Eine Putzfrau? Oder gar eine Putzhilfe? Nein, niemals! Keine diskriminierenden Bezeichnungen! Was dann? Gab es nicht das Wort „Zugehfrau“? Es klang altertümlich und konnte womöglich doppeldeutig verstanden werden. „Reinigungskraft“ schien zu passen. Aber Frau Bersjana hatte nicht nur gereinigt, sondern auch die Wäsche gebügelt. Vielleicht war „Haushaltshilfe“ das richtige Wort. Besser noch schien die Berufsbezeichnung „Haushälterin“ zu sein. Damit war allerdings auch nicht genau beschrieben, was Dr. Hohenadl brauchte. Eine Haushälterin kochte vermutlich auch, kaufte ein, brachte die Kinder zur Schule und führte die Geschäfte. Dr. Hohenadl wollte auf alle Fälle vermeiden, Feministinnen, die die Öffentlichkeit streng überwachten, gegen sich aufzubringen. Auf alle Fälle wollte er lieber höher ansetzen als zu tief, sagte er sich. Daher stand in seinem Inserat „Haushälterin“. Er sah mit Grauen der Musterungsprozedur entgegen, denn alle Qualitäten, die den Personalchef einer Firma auszeichneten, fehlten ihm. Gehaltswünsche abschmettern, Urlaubsvorstellungen zerstören, den Lohn drücken, die Erfolgskontrolle verschärfen, sich als Herr aufspielen, all das lag ihm nicht.
Dr. Hohenadl bekam viele Reaktionen. Vier Bewerbungen wählte er aus. Auch ein Mann, Norbert Bruckmoser, der sich als Allrounder bezeichnete, wollte die Stelle haben. Dr. Hohenadl vereinbarte die Termine für die Bewerbungsgespräche. Er tat es mit größtem Unbehagen, denn er würde sich entscheiden müssen und das widerstrebte ihm.
Als erstes kam Trude Sinkovic, von Beruf freie Schriftstellerin. Sie kam nicht allein, ihr Begleiter war ein großes, dunkelgraues Tier, ein schwarz gefleckter Hund mit struppigem Fell und kleinen, spitz in die Höhe stehenden Ohren. Er gehörte vielleicht einer Rasse an, möglicherweise aber auch nicht. Jedenfalls schien er Charakter, zumindest Selbstbewusstsein zu haben. Im Gegensatz zu Trude Sinkovic, einer zarten Person mit dünner Stimme und scheuem Blick. Sie entschuldigte sich für den Hund. Sie könne Tibor nicht allein zu Hause lassen, er würde vor lauter Trennungsschmerz die Wohnung verwüsten. Im Übrigen aber sei er viel harmloser als er aussehe. Der Hinweis war nötig, beruhigte Dr. Hohenadl aber so gut wie gar nicht. Trennung war ein Stichwort, das noch weiter das Gespräch zwischen Trude Sinkovic und Dr. Hohenadl bestimmte. Ihr Freund sei von einem Tag zum anderen nicht mehr nach Hause gekommen und habe ihr den Hund, der ihm gehörte, überlassen. Dr. Hohenadl fragte teilnehmend nach der Art ihrer schriftstellerischen Tätigkeit und erfuhr, dass sie an einem Opernlibretto arbeite. Über die erste Seite sei sie aber noch nicht hinausgelangt. Dr. Hohenadl beschrieb die Hausarbeit und zeigte Trude Sinkovic die Wohnung. Tibor, der – wohl aus Nervosität – immer wieder übertrieben ausführlich gähnte, wich nicht von ihrer Seite und beschnüffelte misstrauisch alle Einrichtungsgegenstände genau. Dr. Hohenadl hatte das Gefühl von dem Tier als Gegner betrachtet zu werden und hielt, so gut er konnte, Distanz. Trude Sinkovic machte in ein kleines Büchlein Notizen. Über die Art der Tätigkeiten, die sie hier erwarteten? Vielleicht gewann sie in der Wohnung gerade jetzt entscheidende Inspiration für ihr Opernlibretto. Trude Sinkovic betonte ihre langjährige Erfahrung als Haushaltshilfe. Darauf sei sie leider angewiesen, weil sie den Durchbruch mit Opernlibretti noch immer nicht ganz geschafft habe. Am Ende schaute sie Dr. Hohenadl in Erwartung einer definitiven Zusage groß an. Seine Verlegenheit wuchs ins Unermessliche, und er flüchtete sich in die Ausrede:
„Gut, gut, sehr erfreut. Leider muss ich vor der Entscheidung noch Rücksprache mit dem Hauseigentümer halten. Sobald die erfolgt ist, hören Sie von mir.“
Tibor schüttelte sich, als sei er soeben einem See entstiegen. Trude Sinkovic wirkte niedergeschlagen. Dr. Hohenadl atmete tief durch, als die beiden draußen waren.
Am liebsten hätte er die kommenden Termine abgesagt. Aber die nächste Kandidatin, Julia Ivanschitz, war schon für den nächsten Tag angesagt. Auch sie, eine etwa fünfzigjährige Frau ganz in schwarz, kam nicht allein. Sie wurde von ihrer fünfzehnjährigen Tochter begleitet. Julia Ivanschitz sprach nämlich, wie sich herausstellte, kein Wort Deutsch, die Tochter übersetzte. Dr. Hohenadl wollte nicht wie seinerzeit bei Frau Bersjana den Fehler machen, sich nicht darum zu kümmern, mit welchem Menschen er es zu tun hatte. Deshalb hörte er sich geduldig an, was die Frau sagte, und die junge Frau übersetzte. Die beiden waren von der Abschiebung nach Bosnien bedroht. Die Frau hoffte, durch den Nachweis einer Beschäftigung davor bewahrt zu bleiben. Dr. Hohenadl fühlte genau, welche Verantwortung gerade auf ihn überwälzt wurde, zugleich aber spürte er seine völlige Hilflosigkeit.
Der nächste war Norbert Bruckmoser, ein Mann mit Vollglatze, etwa vierzig Jahre alt. Muskulös, im Trainingsanzug und mit Turnschuhen. Als Model für den weltoffenen, fröhlichen und erfolgreichen Typ hätte er nicht über den Laufsteg gehen können. Norbert Bruckmoser sagte nach einer kurzen Begrüßung: „Ich möchte von Anfang an eines klarstellen: Ich komme gerade aus dem Gefängnis.“
Und dann erzählte er eine lange Geschichte. Ein bisschen war darin auch die Rede davon, dass er die Stelle recht gerne bekommen würde. Er sei einmal für ein paar Monate bei einer Reinigungsfirma angestellt gewesen. Aber hauptsächlich ging es um die Unterschrift, die Norbert Bruckmoser in einem Testament gefälscht hatte. Ja und eine Schlägerei mit üblen Folgen war noch dazugekommen. Der Verteidiger zu schwach. Bedenkzeit hat er erbeten, ja. Berufen hätte er müssen! Es war offensichtlich: Norbert Bruckmoser hatte sich hauptsächlich deswegen auf das Inserat hin gemeldet, um endlich einmal auf jemand zu treffen, der ihm zuhörte. Leider verlief seine Erzählung nicht stringent. Er wiederholte sich in einem fort und biss sich immer wieder an dem Richter fest.
„Er war, müssen Sie wissen, nicht nur hinterhältig, sondern missgünstig. Den Ausdruck gebrauchte auch der Verteidiger. Verdrehte mir jedes Wort im Mund. Ich würde weiter gehen und sagen: Er war übelwollend.“
Norbert Bruckmoser brummte etwas Unverständliches, als Dr. Hohenadl am Schluss sagte, er werde sich melden. Norbert Bruckmoser verabschiedete sich mit kräftigem Händedruck und schien insgesamt ein wenig erleichtert zu sein.
Werner Thuswaldners Prosaband „Die Welt des Dr. Hohenadl. Ansichten eines gelernten Österreichers“ ist 2019 bei Ecowin erschienen
Zur Buchbesprechung
Aus dem produktiven Leben eines Knauserers