Ein Held, mit seiner Weisheit am Ende
SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / PHAEDRA
03/03/25 Die Dinge sind mehr als kompliziert am Ende eines langen Heldenlebens. Zu bunt hat es Theseus getrieben, auch mit den Frauen. Unter anderem Ariadne ausgenutzt und auf einer Insel ausgesetzt, in einem weiteren Abenteuer einen Sohn mit der Amazonenkönigin Antiope gezeugt und schließlich Ariadnes Schwester Phaedra geehelicht. Auch da gibt’s zwei Kinder.
Von Reinhard Kriechbaum
An diesem Punkt lässt Jean Racine sein Drama Phaedra beginnen. Theseus ist, wie es sich für einen Profi-Krieger und Staatslenker gehört, wieder mal auswärts beschäftigt. Daheim in Athen glaubt man, Theseus weile gar nicht mehr unter den Lebenden. Die vermeintlich verwitwete Phaedra macht nun halböffentlich, dass sie auf den Stiefsohn Hippolytos spitzt. Der aber hat Auge und Herz längst auf seine Cousine Arikia geworfen, die als politisch Gefangene ihr Leben fristet. Rundum verquere Liebschaften also, was allen dreien nur zu bewusst ist. Irgendwie wollen alle vor sich selbst und ihren Gefühlen davonlaufen, aber bevor es noch so weit kommt, taucht der doch nicht verblichene Theseus auf. Dass er daheim nicht mit offenen Armen empfangen wird, verblüfft den alten Haudegen. Jean Racine lässt ihn nun in Art eines Kriminalkommissars nachforschen, was da vor sich geht. Wer mit wem und auf wessen Initiative hin? Wessen Erzählung sollte er glauben? Da kommt auch ein mit allen Wassern gewaschener griechischer Recke schnell emotional und intellektuell an seine Grenzen.
In seinem letzten von 22 Intendanten-Jahren führt Robert Pienz Regie und dröselt die Geschichte in zwei pausenlosen (und pausenlos spannenden) Stunden auf. Eigentlich wäre Phaedra als Uraufführung in einer Nacherzählung von Michael Köhlmeier angedacht gewesen. Das wollte nicht sein. Aber, 1654 altmodische Alexandriner-Verse hin und her, auch Racines Nachdichtung von 1677 schildert die Figurenkonstellation und die psychologischen Triebkräfte höchst anschaulich. Und a propos gestelzte Alexandriner: Wie Pienz mit dem Ensemble an der Sprache gearbeitet hat, ist beeindruckend. Eine artifizielle und doch nicht antiquiert wirkende, sehr geschlossene Leistung.
Daran hat auch ein Kunstgriff Anteil. Aus den höfischen Stichwortgebern hat Pienz einen dreiköpfigen Sprechchor geschaffen (Rene Eichinger, Marvin Rehbock, Enrico Riethmüller). Von seitlichen, an Metallstangen befestigten Podesten aus kommentieren die drei Herren die Lage und ziehen sich gleichermaßen aus der Affäre. Sie wiederholen immer wieder markante Wörter und Formulierungen. Die Herrschenden tragen ihre Rankünen sozusagen unter den Augen der staunenden Öffentlichkeit aus. Das wirkt stimmig und stilgebend.
Die Ausstattung von Ragna Heiny besteht nur aus diesen seitlichen Podesten und einem großen Holztor, das auch als Projektionsfläche für Porträt-Videos im Großformat dient. Und, ganz elementar: mit einem quadratischen Wasserbecken im Zentrum, in dem die Protagonisten im Wortsinn ihr Mütchen kühlen. All das hat Stil.
Phaedra (Kerstin Maus) spielt im überlangen kaminroten Abendkleid nach außen hin die Grande Dame, aber mit dem Selbstbewusstsein ist es nicht weit her. Nur sehr skrupulös nähert sie sich Hippolytos (Benjamin Muth) an. Er ist von Anfang an bereit, sich den unerfüllbaren Hoffnungen auf Arikia durch Flucht aus Athen zu entziehen. Und er mag kaum glauben, wie ihm geschieht, als Phaedra ihre Gefühle preisgibt. Arikia (Julia Rajsp) geht sehr offen auf Hippolytos zu. Diese Beziehung ist die einzige, die wohl einigermaßen tragfähig sein könnte – wenn auch aus politischen Gründen undenkbar.
Phaedra wird immer von der Hofdame Önone (Sophie Fischbacher) begleitet – eine temperamentvolle Dame, die stets nach pragmatischen Lösungen sucht und der wankelmütigen Phaedra nicht immer die allerbesten Ratschläge erteilt.
Theo Helm ist Theseus, in dieser Phase des Lebens der Antiheld schlechthin. Nichts wäre ihm wohl lieber als ein ruhiger Lebensabend mit Phaedra, aber da sind die Emotionen der anderen längst nicht mehr einzufangen. Nachdem Theseus sogar Poseidons Rache auf Hippolytos herabgerufen hat, ist das letale Ende nicht mehr aufzuhalten. Theo Helm macht absolut glaubhaft: Dieser pensionsreife Theseus ist mit seiner Weisheit absolut am Ende.
Aufführungen bis 17. März – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese