Ausgefuchst und eingeteufelt
LANDESTHEATER / FAUST²
18/11/24 Dass Faust sich von Gretchen einen harten Kinnhaken holt, das ist fürwahr ungewöhnlich. In diesem Fall kommt's freilich gar nicht so unerwartet. Schließlich steckt Mephisto, also der Teufel selbst in der jungen Dame. – Beide Teile des Faust an einem Abend, und das gleich als Faust², also zum Quadrat. Kein geringer selbst auferlegter Anspruch.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie das zugeht mit Mephisto und Gretchen? Wie ein billiger Zauberer in einem Zeichentrickfilm wirft Mephisto eine Handvoll roter Papierherzchen in die Luft (das „Blimm“ denk man sich unwillkürlich dazu), schlüpft aus den Schuhen – und schon ist aus ihm Gretchen geworden. Die Frage „Wie hältst Du's mit der Religion?“ bekommt aus dieses Mephisto/Gretchens Mund gleich noch ein Quäntchen mehr Brisanz. Carl Philip von Maldeghem führt in seiner recht knallig, ironisch und vor allem mit viel Situationskomik daherkommenden Inszenierung Faust² den ewig nach Höherem Strebenden und seinen diabolischen Begleiter quasi in Personalunion vor. Den einen als Alter Ego des anderen. Faust und Mephisto/Gretchen in dieser Szene also. Da geraten eigentlich drei Charaktere aneinander und es bringt einen nicht mal Nestroys pointierte Frage „Wer is stärker, i oder i“ weiter. Schulklassen, die eben die Goethe-Lektüre hinter sich haben, könnte man in diesen Faust zum Quadrat hineinsetzen und sie danach abfragen: Wer sagt welches geflügelte Wort im Original?
Carl Philip von Maldeghem und sein Dramaturg John von Düffel sind nämlich gar nicht zimperlich, wenn's um das Neu-Zuordnen geht. Das geschieht mit nicht wenig augenzwinkernder Ironie, schon im Vorspiel auf dem Theater, das ineinander fließt mit dem Prolog im Himmel und in das Fausts Studierstuben-Monolog gleich mit vermanscht ist. Ist es wirklich ein starkes Plädoyer für das „was man schwarz auf weiß besitzt“ und so „getrost nach Hause tragen kann“, wenn dahinter die Zahlen- und Symbolkolonnen von Computer-Programmiersprachen flimmern? Faust hat sich wohl ordentlich verrannt in neuen Technologien und doch einen guten Schuss Realität im (gespaltenen) Herzen bewahrt: Aufs Wort „der Magie ergeben“ greift er zur Virtual-Reality-Brille, um sie gleich drauf achtlos wieder wegzulegen: „...ein Schauspiel nur...“ Bis ins Uferlose ließen sich die vielen kleinen Finten und Winkelzüge des Text-Arrangements beschreiben, mit dem man zwei Spiel-Stunden lang dieser Faust-Lesart all das Klassisch-Hehre mit System austreibt. Im Zeitraffer-Verfahren baut Carl Philip von Maldeghem auf die spontane Wirkung, aufs Anschauliche: „Nur bitte, dass die Kunst gefällig bleibt.“ Selten so gelacht bei einem Faust, weil die „beiden Seelen in einer Brust“ eben einen Abend lang so ganz und gar nicht in Einklang kommen wollen. Immer stellt einer dem anderen das Haxl.
Das Kräftemessen zwischen Faust und Mephisto (eben nicht nur er ein „Geist der stets verneint) geht letztlich remis aus. Gerichtet, gerettet – wer wollte das entscheiden?
Wie das nun auf der Bühne aussieht? Christian Floeren hat sich schwere Deckenbalken ausgedacht, die an der Schmalseite weiß leuchten oder, schräg nach hinten hängend, als Projektionsflächen für seine virtuellen, KI-generiert wirkenden Videos dienen. Das macht viel her. Im zweiten Teil dann geht’s auf zwei Laufrädern hurtig auf und ab wie im Leben selbst. Originell der Homunculus, eine Gesichts-Projektion auf einen Ventilator. Der Tragödie zweiter Teil muss erwartungsgemäß besonders viel Text-Federn lassen. Unverzichtbar und breit ausgespielt trotzdem die Story von des Königs Machterhalt mithilfe Fausts/Mephistos Erfindung des Papiergelds. Ist schließlich etwas, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ und entsprechend relevant.
Gefinkelt in diesem zweiten Teil: Faust und Mephisto haben die Rollen getauscht. Nun ist Gregor Schulz der über sich selbst hinauswachsende (oder anders gesagt: Grenzen nicht mehr anerkennende) Advokat der Hölle, während Nikola Jaritz-Rudle zu Faust geworden ist und gelegentlich wie zum Nebendarsteller degradiert in der Bühnenecke kauert. Diesen beiden eröffnen sich in dem Doppelrollenspiel logischerweise alle Möglichkeiten, sich zu profilieren. Beide mit vorbildlicher Sprechtechnik und auch körperlich im Totaleinsatz. Schließlich gibt’s von Auerbachs Keller (eine Mischung aus Club und Schnulzodrom) bis zu den Walpurgisnächten nicht wenig Pop und Bewegung.
Faust, erst ein „Normalo“ im Pullover, gleicht seine Kleidung immer mehr an Mephisto an, der in schwarzem Knautschleder daherkommt – das Vexierspiel des Ineinanderfließens von Identitäten wird bis in kleine, liebenswürdige Details verfolgt, auch wenn es an deftigen Effekten nicht fehlt in dieser Inszenierung. Sie kommt mit nur vier Darstellern aus. Leyla Bischoff und Maximilian Paier schlüpfen in alle anderen Rollen – deren fünfzehn in Summe, wenn ich richtig gezählt habe.
Reizvoll jedenfalls, dass sich Carl Philip von Maldeghem den Stoff nochmal vorgeknöpft hat. Er hat ja seine Landestheater-Intendanz 2009 mit Faust I begonnen und 2013 auch Faust II (in der Felsenreitschule) inszeniert. Diesmal eben als Strichfassung, dafür popkulturell aufgeladen, ausgefuchst und eingeteufelt. Und – ist's Zufall oder Absicht? – zeitlich zusammenfallend mit einer gleich fünfstündigen (!) Faust-Soloperformance von Max Pfnür (Regie Benjamin Blaikner) in der ARGEkultur. Wer sich beides gibt, ist Faust-mäßig auf Jahre hin bestversorgt.