Beratungsstelle für Zärtlichkeit
ARGEkultur / WEISSER MANN FAUST
15/11/24 Büchertisch „Faust und Feminismus“. Jausen-Schmöker-Bastel-Tische. Ansprechpartner (-innen in der Hauptsache) vor dem Saal. Plakate mit Faust-Zitaten im Saal. Stifte sollen zum assoziativen Schreiben anregen... Dann WEISSER MANN:FAUST als grandiose Solo-Marathon-Performance von Max Pfnür in einer Umgebung des Theaters der Mitte.
Von Erhard Petzel
Die jungen Leute vom Theater der Mitte wollen ihrer Natur gemäß die Institution Theater aufbrechen. Daher die Idee, während der Premiere herumzugehen, auch die den Hinterbühne zu erkunden oder einfach hinaus zu gehen und die draußen vorbereiteten Angebote kontemplativ zu nutzen. Dieses Angebot erscheint menschlich und vernünftig, da Max Pfnür für beide Teile von Goethes Drama mit den veranschlagten Stunden so gar nicht auskommt, und auch die zu Beginn angekündigte fünfstündige Dauer überschreiten wird.
Doch so wie der alte weiße Goethe mit seinem alten weißen Faust und dem zeitlos gültigen Zyniker Mephisto Welttheater mit unbesiegbarer Sogwirkung geschaffen hat, schafft Pfnür in faustischer Hybris einen Aufmerksamkeits-Hype der besonderen Art. Er spielt im Wesentlichen beide Teile in einem durch, übernimmt dabei alle Rollen und bedient nebenbei Bühne und Technik. Und das sehr geschickt und abwechslungsreich. Der Bühnenraum ist seitlich, hinten und teilweise oben von einer Plane begrenzt, die mit Licht und Projektionen Zeit und Raum mit Leben erfüllt. Eine schwarze Box, die aufgeklappt werden kann, um aus ihrem Inneren diverse Requisiten abzugeben, übernimmt unterschiedlichste Aufgaben und wird durch die Szene geschupft.
Zwei Hocker, mehr Mobiliar braucht es nicht. Zwei Masken und ein wenig Kleidung, die – ergänzt, gewendet und umgedeutet – die jeweilige Person in den Handlungszusammenhang setzt. Das Mikrophon erweitert nicht nur die Facetten von Sprechpersonal, sondern wird geschickt verfremdet, sodass von Gott bis Geister vielfältige Effekte plastische Wirkung zeigen. Wer will da nicht einfach nur zusehen? Wer staunt da nicht ob des menschlichen Marathons des Schauspielers? Sich was denken oder hinterfragen geht auch danach.
Und doch ist das Setting verdienstvoll, weil es den Fokus vom dramatischen Klassiker zu Faust als Menschentyp lenkt. Was Jahrhunderte als faustisches Wesen des suchenden Menschen galt, könnte heute unter dem diagnostischen Gesichtspunkt von dipolarer Störung abgehandelt werden. Und die Beziehungsebene zum anderen Geschlecht ist höchst problematisch. Zu Gretchen mangelt es vor allem an Verantwortung, übrigens Spielzeitmotto des Landestheaters, das am Samstag (16.11.) seinen Faust vorlegt.
Und die Familie mit Helena? Unterirdisch, sich für ein Leben im Alltag ein Idol aus der Unterwelt zu holen. Mit Überfliegern als Kinder kommen die Probleme. Die Schluss-Sentenz, dass alles Weibliche uns hinan ziehe, erhält hier zum religiösen Kontext die Konnotation der Beratungsstelle für Zärtlichkeit. Im Programmfolder angeführt wird Bell Hooks und ihre These, dass man nur lieben könne, wenn man den andern nicht beherrschen wolle. Faust ist vor allem am Schluss besessen davon, uneingeschränkt zu herrschen, was zum infamen Verbrechen gegen die beiden Alten führt. Freilich ist damit die Komplexität und universale Gültigkeit des Werkes nur partiell umrissen. Allein die Episode mit Homunculus macht allegorisch schaudern. Und die LGBTQI+-Community darf sich über knackige Engel freuen, die den Teufel becircen.
Zur herausragenden Leistung des alle Stimmregister ziehenden Max Pfnür, der auch Licht, Ton und Video gestaltet, kommen die wirksame und sensibel ausgefeilte Musik von Roli Wesp und die Unterstützung für die Regie durch Benjamin Blaikner. Das führt zu synästhetischen Wunderwerken wie beispielsweise die beschworene Geisterwelt oder die herrlich abstrakte, aus kleinen Sternbild-Konstellationen entwickelte Grafikwelt der klassischen Walpurgisnacht. Ein Konzept für Theater-Vermittlung für Junge? Dazu müsste es vielleicht in den Tag verlegt werden. Die Leute, die am Donnerstag (14.11.) brav durchgehalten haben, waren eher alte weiße Männer und reife weise Frauen. Die waren dafür hellauf begeistert und nur mäßig erschöpft. Bei aller mephistophelischer Sophistik ist der Faust nach wie vor aktuell als treffsichere Zitatenschleuder der Mechanik von Wahrheit und Welteinsicht.
WEISSER MANN:FAUST– zwei weitere Aufführungen heute Freitag (15.11.) und morgen Samsag (16.11.) jeweils ab 18 Uhr, sowie drei weitere Aufführungen im Jänner – www.argekultur.at
Bild: Theater der Mitte