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Sitzer, Steher, Eigenbrötler

KLEINES THEATER / WIR STAPELN STÜHLE

31/05/24 Das Funktionieren einer Gesellschaft und ihr allmähliches Auseinanderbrechen durch fluide Egoismen: Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Jugendclub im Kleinen Theater (Theater der Mitte) in der Uraufführung des Stücks Wir stapeln Stühle von Benjamin Blaikner.

Von Erhard Petzel

Die jungen Leute bilden als Bühnengruppe eine Metapher für das Zusammenspiel von Individuen in einer Gesellschaft. Ihr ganzer Lebensinhalt ist es vorerst, laufend Stühle zu stapeln, sich überschwänglich am immer gelungenen Werk zu erfreuen und es schließlich wieder zu zerlegen, um wieder von vorne zu beginnen. Was man als stupides oder Sinn befreites Hamsterrad sehen könnte, erscheint hier als Paradies der Werktätigen im harmonischen Wechselspiel. Die Stühle gehören der Gemeinschaft, für jeden ist einer da. Alle tragen gleich viel zum gelingenden Werk bei.

So viel Harmonie kann auf Dauer nicht gut gehen. Einer schert aus, besetzt einen Stuhl und geriert sich in der neuen Rolle eines Sitzenden. Verwirrung, als die anderen drauf kommen. Es wird abgewogen und gemutmaßt, schon sind die Meinungen zu diesem Eingriff in die homogene Struktur der Gemeinschaft unterschiedlich. Es überwiegen aber das Bedürfnis nach Konsens und der Glaube daran, dass dieser sich wieder einstellen werde. Mit den übrigen Stühlen lässt sich noch immer gut bauen. Aber ein Abtrünniger schlägt sich auf die Sitzer-Seite, sodass eine erste Gegenfraktion zur Gemeinschaft entsteht.

Als Gegenreaktion etabliert sich eine Steher-Fraktion zweier hochmütiger Ladies. Und damit geht es so richtig rund, weil man zum Durchsetzen von Eigeninteressen die üppige Palette von Untergriffen pflegt, womit sich von Ressentiment geleitetes Lagerdenken verbreitet. Während die Kerngruppe gerade noch vor sich hin stapelt, dockt ein Wechsel-Agent an den verschiedenen Lagern an und probiert deren Vorzüge aus, einerseits sich einschleimend und andrerseits polemisierend. Intrigen mit der begrenzten Ressource Stuhl bleiben nicht aus. Der Ton untereinander wird zunehmend schrill, der Ruf nach Sanktionen steht neben Kalmieren und Verständnis für unterschiedliche Bedürfnisse und Entwicklungen. Da bricht dann ein Quartett ab mit einer so geheimen Agenda, dass sie erst gar nicht bis zum Publikum durchdringt.

Sie ist aber letztlich so attraktiv, dass sie das übrig gebliebene Stapel-Paar auch noch aufbricht und die letzte Partnerin schlechten Gewissens, aber eben doch, überläuft. Alleine gelassen mit einem Sessel, das schafft bei allem Engagement keine funktionelle Basis zum Stühle-Stapeln. Die letzte standhaft Verbliebene bettet frustriert das traurige Haupt auf die Sitzfläche. So findet sie der Wankelmütige auf der Suche nach einem weiteren Stuhl (nachdem die Sitz-Fraktion die neue Technik entwickelt hat, die Beine auf einen zweiten Stuhl zu legen). Jetzt gibt auch sie die alte Stapel-Lustbarkeit auf und präsentiert ihre neue Haltung als Errungenschaft. Das Alte ist tot, das Spiel ist aus, die Gemeinschaft hoffnungslos fragmentiert und keiner weiß, ob das gut oder schlecht oder ob da irgendwas für etwas gut ist.

Benjamin Blaikner hat hier ein faszinierend offenes Sujet entwickelt mit viel raffiniertem verbalen Schlagabtausch. Je nach eigenem Standpunkt kann man sich aus der Fülle der eingesetzten Weisheiten das Seine zusammensuchen. Wesentlich mehr Reiz hat aber die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Sentenzen ohne sie zu werten. Dann schillert der Text und bricht in eine dialektische Ironie der Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit des Widersprüchlichen bei der Frage nach Wahrheit.

Die elf jungen Leute fassen ihre plakativen Rollen in der Regie des Autors zu einem abstrakten und absurden Kammerspiel mit menschlicher Dimension. Elf Stühle, etwas Vorhang und Licht reichen für die Ausgestaltung einer metaphorischen Welt, schwarzer Rock dröhnt nicht nur zwischen den Szenen. Das Stück hält eine gute Balance zwischen Aktion und Reflexion, sodass es weder zum beliebigen Konversations- noch zum trockenen Lehrstück abdriftet. Erst auf der Metaebene entfaltet sich sein schwer greifbarer Ernst und wird so vielleicht zu einem ganz verständlichen Zeitzeugnis. Ob der üppige Applaus nach der Premiere am Freitag (29.5.) auf die erfolgreiche Vermittlung dieser Dialektik bei Alt und Jung verweist?

Weitere Aufführungen am 25. und 26. Juni – Der Trailer zum Stück  – www.kleinestheater.at
Bilder: Kleines Theater / Benjamin Blaikner

 

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