trick or treat
FEUILLETON / HALLOWEEN
31/10/24 Halloween? Mit diesem Brauch sind Salzburger das erste Mal durch amerikanische Besatzungssoldaten in Berührung gekommen. Hat sie aber nicht weiter berührt. Erst in den 1990er Jahren wurde Halloween hierzulande ein Thema, zuerst unter Studenten und in der Gothic-Szene. Da hätte niemand geahnt, dass allein in Salzburg dereinst fünf Millionen Euro Umsatz mit Halloween-Artikeln gemacht würden.
Von Reinhard Kriechbaum
Fünf Millionen Halloween-Umsatz in Salzburg, 75 Millionen in ganz Österreich. Das haben Marktforscher für dieses Jahr erhoben. Ein Anlass wohl, über das Warum und Wieso dieses Brauchs nachzudenken, der von Europa in die USA und jetzt wieder zu uns zurückgewandert ist.
Die gängige Erklärung ist jene, dass das irisch-keltische Fest Samhain der Ausgangspunkt für Halloween war: Nach einem der dort gebräuchlichen Kalendersysteme – nicht dem kosmischen der Druiden, sondern dem bäuerlichen – war Samhain ein Lostag im Jahreskreis. Da standen die Eingänge zu den Elfenhügeln, also zur „Anderswelt“ offen. Die Vorstellung, dass Tote nächtens umgingen und man mit ihnen reden könne, lag nahe. In der Volkskunde wurden dann waghalsige, hypothetische Verbindungswege konstruiert. Einer führt, nach der römischen Eroberung Englands, zurück nach Rom: Die keltischen Vorstellungen hätten sich in die Metropole durchgesprochen, man habe die Ideen von Samhain mit dem in Rom schon bestehenden Totenfest zu diesem Datum verbunden. Dieses sei dann von der katholischen Kirche sozusagen als Brauch „getauft“ worden, indem sie Allerheiligen und später Allerseelen eben genau da, am 1. und 2. November, angesetzt habe. Das wäre eine aparte Vorstellung, ist aber geographisch schon sehr weit hergeholt.
Nehmen wir also eher an: Der November-Anfang ist, weil es rapide dunkel wird, eine markante Zeit. Es liegt nahe, über die Dunkelheit nachzudenken und Ängste in sie zu projizieren. Ob keltisch oder nicht: Die Vorstellung, dass arme Seelen umgingen in der Nacht auf den 1. November und man ihnen etwas zum Essen hinstellen sollte, waren in Mitteleuropa weit verbreitet. Heischeumzüge armer Leute, wie sie aus Irland und Schottland berichtet werden, gab es auch hierzulande. Der Schriftsteller Peter Rosegger berichtet aus seiner „Waldheimat“ (Krieglach/Alpl in der Steiermark), dass am Abend vor Allerheiligen Bauersleute hundert und mehr Allerheiligenstriezel gebacken und an die in Scharen vorbeikommenden Armen verteilt hätten. Ein Sozialbrauch.
Ob das nun alles direkter keltischer Einfluss oder jahreszeitlich bedingte, analog entwickelte Ideen sind, ist letztlich unerheblich. Mit irischen Siedlern ist der All Hollows‘ Eve – der englische Name von Allerheiligen steckt in Halloween – jedenfalls in die Neue Welt gekommen. Aber keineswegs in Form netter Kinderumgänge und ganz und gar nicht im Sinn von „trick or treat“. Chroniken berichten davon, dass in Amerika aus dem Fest des Totengedenkens eine Nacht der Zerstörung und des Vandalismus geworden ist.
So etwas wie Brauch-Schützer gab es aber auch in den USA. Pfadfinderorganisationen (Boy Scouts) traten für eine friedliche Form des Feierns ein. Man warb in den Schulen für „Sane Halloween“. Und so entwickelte sich bis in die dreißiger Jahre allmählich der Heischebrauch mit dem Ruf der Kinder: „trick or treat“.
Das wirklich Spannende an „Halloween“ ist der Import des neu-alten Festes zu uns, seine plötzliche Mutation zur breitenkulturellen Erscheinungsform. Bloße Kopie von Dingen, die Kinder und Jugendliche in Soap Operas wahrnehmen und imitieren? Fernsehen und amerikanische Vorabendserien hat es auch in früheren Jahrzehnten schon gegeben, die Verbreitung von Halloween hierzulande hat aber nicht vor der Jahrtausendwende eingesetzt. Erst seit gut zwanzig Jahren hat Halloween bei uns tatsächlich einen Brauch-Stellenwert, wird es auch von Kindern betrieben. In den 1990er Jahren war Halloween noch eher beschränkt auf Kostümfest-Partys in studentischen Kreisen oder auf Szene-Feste in bestimmten Milieus (Gothic). Halloween war da noch keinesfalls „massentauglich“.
Es kommen mehrere günstige Voraussetzungen zusammen, die Halloween zum Boom-Fest sondergleichen haben werden lassen. Der traditionelle Gräberbesuch ist ausgesprochen uncool für die jüngere Generation. Was also machen mit dem christlichen Feiertag Allerheiligen, wenn der Glaubens-Sinn flötengegangen ist? Da kommt Halloween mit seinem ausgeprägten Fun-Faktor gerade recht. Die Sehnsucht, ja die Lust an Bräuchen ist ja ungebrochen. In diesem Fall kann man das „altmodische“ Allerheiligen ganz praktisch durch die lustbetonte Geister-Maskerade ersetzen. Vampir- und Hexenkostüm anstatt Segen auf dem Friedhof. Allerheiligen verhält sich zu Halloween in etwa so wie der Aschermittwoch und Heringsschmaus. Ein neu-heidnischer Brauch.
Das ebenfalls steigende Interesse an esoterischen Praktiken arbeitet zwar nicht unmittelbar Halloween zu, ist aber gewiss nicht abträglich. Stichworte: Keltisches Neuheidentum, Mondkalender und dergleichen.
Die Wirtschaft hat nicht geschlafen und hält das entsprechende Sortiment an Verkleidungen und Naschereien bereit. Was war zuerst da, die Nachfrage seitens der Käufer oder das Begierde weckende Angebot? Das lässt sich schwer ausmachen.
In Summe ein Umfeld, das Halloween als neuem Brauch auf vielen Ebenen zuarbeitet. Der Erfolg kann gar nicht ausbleiben. Dass kein Mensch mehr an die Ursprünge denkt, an Totengedenken und Geisterabwehr, ist nur logisch.
Übrigens: Die Iren pflegten Rüben auszuhöhlen, Gesichter hinein zu schneiden und Kerzen hinein zu stellen – zur Abwehr imaginärer Geister. In Amerika griff man mangels Rüben zum Kürbis. Hierzulande ist daran kein Mangel. So ist zu Halloween auch noch etwas sehr „Österreichisches“ zu vermelden: Die kulinarische Wertschätzung für den Kürbis ist auffallend gestiegen, und damit das Vermarktungspotential. Jeder Ort, der geographisch auch nur einigermaßen Kürbis-affin ist, veranstaltet unterdessen sein spätherbstliches Kürbisfest. Touristiker und Regional-Entwickler sind aufgesprungen. Sie reichern solche agrarisch/gastronomischen Feste zu gerne mit Halloween-Elementen an und sorgen für entsprechenden Spaßfaktor zur kulinarischen Freude.
DrehPunktKultur-Herausgeber Reinhard Kriechbaum hat mehrere Bücher zu volkskundlichen Themen geschrieben. Halloween beispielsweise kommt vor in dem 2013 bei Pustet erschienenen Buch Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer, wo es speziell um Sommer- und Herbst-Bräuche geht. Auch im Buch Salzburger Brauch (Rupertus Verlag, 2016) ist Allerheiligen/Halloween ein Thema.
Bilder: Wikimedia / Petar Milošević (1); Don Scarborough (1); Interspar (1); Franziska Hübl (2)