Corona-Ostern oder: Jäger und Sammler
HINTERGRUND / VOLKSKULTUR
09/04/20 Neben Advent und Weihnachten ist die Karwoche jene Zeit im Jahreslauf, da Bräuche geradezu mit Hingabe gelebt werden. Aber wie ist das heuer? Die Volkskundler des Landes machen mobil in Sachen Brauch-Erkundung. Und das Salzburger Volksliedwerk will wissen: Was singt ihr in der verordneten häuslichen Isolation?
Von Reinhard Kriechbaum
„Nutzen Sie WhatsApp, Skype, Face-Time, Facebook oder andere Social-Media-Kanäle?“ Eine solche Frage wäre uns vor einem Jahr zu Ostern kaum eingefallen. Wer lässt, da der Weg von Haus zu Haus nicht möglich ist, heuer die Ratschen vom Balkon aus knattern? Wie ist der Palmbuschen heuer zu seiner „Weih“ gekommen und wie kommt am Karsamstag oder am Ostersonntag der Segen über die Eier und das Geselchte?
„Europäische Ethnologie/Volkskunde soll kulturelle Lebensäußerungen der Menschen durch Gespräche, Beobachtungen oder Interviews festhalten und hernach wissenschaftlich nutzen“, erklärt der Leiter des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde, Michael Greger. „Dabei geht es, genauso wie bei den Daten der vergangenen Jahrhunderte zu Bräuchen und Festen, um Belege für das Hier und Jetzt.“ Das Landesinstitut für Volkskunde sei 1983 vom Land Salzburg mit dem Anspruch begründet worden, gegenwärtige Rituale und Feste der in Salzburg wohnenden Menschen zu dokumentieren. „Da wir nun selbst auf unser Zuhause zurückgeworfen sind, bitten wir Sie um Ihre Mithilfe, denn so kann ein Mosaik der Salzburger Verhältnisse zu Ostern 2020 entstehen“, sagt Greger. „Ein Mosaik, das in fünfzig oder hundert Jahren von besonderem Interesse sein wird.“
Wie also werden lieb gewordene Rituale rund ums Osterfest diesmal den Möglichkeiten angepasst? Das ist eine spannende Fragestellung, denn „Brauch“ ist ja nicht etwas, was über Jahrhunderte als Stereotyp betrieben wird. Selbst innerhalb kurzer Zeit ändern sich Bräuche. Sie müssen ja stimmig sein für diejenigen, die sie leben.
Michael Greger ist einer jener Volkskundler im Land, die es genau wissen wollen. „Lassen Sie uns am Landesinstitut für Volkskunde Anteil haben an Ihrem Osterfest“, ersucht er. „Bitte snden Sie uns (Handy)-Fotos und Videos (gerne auch per We-Transfer oder Dropbox-Link), kurze Texte, Audio-Aufnahmen, Zeichnungen…“ Als Wissenschafter ist ihm ein Anliegen, den Wohnort und das Alter der Einsender zu erfahren. Nicht zuletzt geht es auch darum: „Was vermissen Sie heuer? Was gehört für Sie zu Ostern unbedingt dazu – und ist heuer nicht möglich?“
Auch Michael Weese und sein Team im Salzburger Freilichtmuseum bewegt die Frage: „Wie werden kommende Generationen auf die derzeitige Krise zurückschauen?“ Als Museumsmensch fragt er sich: „Welche Dinge, welche Objekte und welche Dokumente werden in hundert Jahren die aktuelle Krisensituation vermitteln?“ Auch vom Freilichtsmuseum ergeht also der Aufruf an die Salzburger, Zeugnisse zur künftigen Zeitgeschichte aktuell zu sammeln: „Heben Sie für uns auf oder fotografieren Sie Ankündigungen von Lieferdiensten der Landjugend, Gemüsekisten des regionalen Lieferservice, Aushang für Corona-Schutzmaßnahmen, Warnhinweise, Hilfsangebote, Hinweisschilder geschlossener Betriebe, improvisierte Arbeitsplätze zu Hause, selbstgebastelte Atemschutzmasken, Coronavirus-Kinderzeichnungen, Briefe an die Großeltern, Spiele, die gerade jetzt zu Hause gespielt werden, kreative Lösungen landwirtschaftlicher oder gastronomischer Betriebe (wie Selbstbedienungszonen im Freien), eine örtliche Anschlagtafel mit abgesagten Veranstaltungen…“
Fürs Erste sind Fotos gefragt, und natürlich ist man im Freulichtmuseum auch an der „Oral History“ dazu interessiert: „Bitte schreiben Sie in persönlichen Worten dazu, welche Geschichte diese Dinge für Sie erzählen.“ Dass man sich später bei den Einsendern meldet, um gewisse Dinge in die Sammlung aufzunehmen, sei möglich.
Auch im Salzburger Volksliedwerk geht man unter die Jäger und Sammler. Da gehe es um die „vielen kleinen Formen – sei es ein einzelnes Lied oder ein einzelnes Musikstück – die im Land Salzburg kursieren und die das (Alltags-)Leben der singenden und musizierenden Menschen in unserem Bundesland bereichern“, erklärt Elisabeth Radauer. „Gedanken an die Biedermeier-Zeit drängen sich auf. Das Singen und Musizieren daheim als analoge Alternative zum Streaming gewinnt zunehmend an Bedeutung.“
Im Fall der Musik (nicht nur Volksmusik!) ist natürlich eine Audio- oder Videoaufnahme von besonderem Wert – und auch dazu die Information, um welches Lied/Stück es sich handelt, nebst Namen, Wohnort, Alter und Beruf der Musikantinnen und Musikanten. Die Aufnahmen werden archiviert und, wer weiß, sogar (mit Einverständnis der Einsender) später einmal online veröffentlicht.