Der Schlaf im Dorf wurde über-lisztet
REST DER WELT / RAIDING / LISZT-FESTIVAL
24/06/15 Ein noch junger Konzertveranstalter jubiliert. Dort, wo sich das alte Liszt-Geburtshaus und der neue moderne Konzertsaal fast die Hand reichen, werden bereits 10 Jahre lang hochkarätige Konzerte veranstaltet.
Von Wolfgang Stern
In den zehn Jahren wurden in mehr als 120 Konzerten über dreihundert Werke von Franz Liszt aufgeführt. Die Wiener Akademie unter Martin Haselböck hat unter dem Titel „The Sound of Weimar“ sämtliche Orchesterwerke aufgeführt. In diesem Jahr sind es alle Werke für Klavier und Orchester, die durch das Originalklangorchester umgesetzt werden. Pianisten-Weltstars kamen ins Mittelburgenland und manche von ihnen sind schon Stammgäste geworden. Wer die Musik von Franz Liszt liebt, der sollte also hier gewesen sein, Kunst und Kulinarisches findet man in Harmonie vereint.
Die Saison 2015 ist bereits im Gange. Interessantes gibt es von drei Juni- Konzerten zu berichten.
Die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman ist als gebürtige Oberpullendorferin so etwas wie ein local hero. Im ausverkauften Raidinger Saal ließ sie Lieder von Liszt, Schumann und Schubert hören. In Erinnerung behält man etwa Liszts „Es muß ein Wunderbares sein“, berührend gelangen „Nachtstück“, „Der Tod und das Mädchen“ oder „Meeresstille“ von Franz Schubert. Am Klavier (und gelegentlich etwas vorlaut): Eduard Kutrowatz.
Der gebürtige Russe Kirill Gerstein (Jahrgang 1979), mehrmals bei Wettbewerben ausgezeichnet, wählte für seinen Abend am Bösendorfer quasi gebündelte Miniaturen: zum einen Robert Schumanns Carnaval, op.9, bestehend aus zwanzig Charakterstücken, zum anderen die zwölf „Études d´exécution transcendante“ von Liszt, 12 Etüden, die eine besondere Herausforderung an jeden Interpreten stellen. Brillant ist das Spiel des an der Musikhochschule in Stuttgart Unterrichtenden, bei einem Wettbewerb zur Schule der Geläufigkeit wäre er sicher ganz vorne dabei. Technisch ist alles perfekt, doch manchmal übertriebene Tempi sind nicht immer zielführend, wenn es um Wärme im Klang geht. Das Gleiche galt für Schumanns Carnaval. Ob die quasi fugenlose Abfolge der einzelnen Stücke Sinn macht, bleibe dahingestellt, man nahm den Eindruck einer überhasteten Interpretation mit.
Eine Bereicherung im Künstler-Portfolio für Raiding ist die in Wien lebende Japanerin Miki Yumihari. Wie eine Prinzessin betritt sie in High-Heels den Saal mit einem rot-schwarz gemusterten schulterfreien langen Kleid, setzt sich an den Steinway und lässt vom ersten Ton an ihrer Energie freien Lauf. Bloßfüßig bedient sie die Pedale. Ein etwas sanfterer Beginn mit Schumann (Abegg-Variationen), ehe sie sich voll auf Liszt konzentriert und mit bewundernswerter technischer Brillanz die Zuhörer in ihren Bann versetzt. Auch hier fragt man sich freilich, ob solche Wahnsinnstempi notwendig sind. Galt der erste Teil des Abends Romantischem, so sorgte Miki Yumihari im zweiten Teil im langen gelb-glänzenden Kleid mit lockerer Art für Unterhaltung, auch mit Jazzigem. Da waren da Ginasteras Danzas Argentinas op.2 zu hören, eine Steigerung gab es dann noch mit sechs Stücken aus Friedrich Guldas „Play Piano Play“, wo noch dazu Freude am Improvisieren hinzukam. Die sogenannten Übungsstücke widmete Gulda übrigens seiner Frau Yuko.
Im Oktober gibt es dann noch neben anderen Konzerten den Auftritt des jungen Israeli Boris Giltburg (22.10.) und bereits zum sechsten Mal kommt Boris Bloch nach Raiding: Er verspricht für eine Matinee (25.10.) „Best of Liszt- Best of Bloch“ (Matinee am 25. Oktober).
Seine bisherigen Konzerte in Raiding wurden mitgeschnitten, auf sechs CDs kann man das nachhören. Die Kassette (Nr. 99070) mit den Aufnahmen von 2010 bis 2014 wird wohl bald als wertvolles Dokument Liszt‘scher Klaviermusik gehandelt werden. „Ein Poet, ein Perfektionist, ein Musiker mit emotionaler Tiefe und technischer Brillanz, der aber Virtuosität keineswegs als vordergründigen Selbstzweck versteht und Ausdruck nie als gekünstelten romantischen Gestus inszeniert“ – so ein Zitat im Booklet. Der aus Odessa gebürtige Pianist kann, wie eben auch Franz Liszt, für den er sich so einsetzt, als Grenzgänger betrachtet werden, sein Spiel emotionalisiert und ist ehrlich.
Der kleine mittelburgenländische Ort Raiding wurde also im Verlauf eines Jahrzehnts aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Dass sich der Konzertsaal bestens für Musikaufnahmen eignet, hat sich bis zu großen Produzenten herumgesprochen.