Wie die Köpfe mit uns umspringen
REST DER WELT / GRAZ / GEGENWART DER ERINNERUNG
16/01/15 „Ich klarinettiere ohne dieses Hilfsgestell einer Klarinette verwenden zu müssen!“ Es ging Gert Jonke, der Stücktitel so gerne aus der Welt der Musik gezogen und ihr auch so manches einprägsame Sprachbild abgewonnen hat, nicht zuletzt darum, die unerhörte Musik im Ohr flott zu kriegen.
Von Reinhard Kriechbaum
So sollen auch die Gäste des Herrn Diabelli „die virtuoseste der nie gehörten Lautlosigkeiten“ mitbekommen – jene Gäste, die der Fotograf für diesen Abend eingeladen hat, um mit ihnen ein ganz besonderes sommerliches Gartenfest zu feiern. Es soll jenem vom Vorjahr aufs Haar gleichen, „dieselben Gesten, Blicke und Sentimentalitäten“.
„Gegenwart der Erinnerung“ ist die erste der beiden Erzählungen aus Gert Jonkes „Schule der Geläufigkeit“ (1977). Ein Text, der sich vom Papier wohl gerne löst und Theatermenschen anspringt, weil den bizarren Szenerien viel Anschaulichkeit innewohnt. Christiane Pohle, die im Grazer Schauspielhaus mit Thomas Bernhards „Untergeher“ schon einmal musik-inspirierte Prosa auf die Bühne gebracht hat, arbeitet sich nun also an Jonkes fiktiver Spirale aus Wort und Ton, aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Zeit und Stillstand ab. Gleich vorweg: ein durchwachsener Abend.
Völlig ausgeräumt und über weite Strecken fast unbeleuchtet ist die Bühne (Penelope Wehrli), durch die große Tür ganz hinten sieht man ins Helle. Dort wird der Tisch fürs Fest gedeckt, dort begrüßt man die Gäste. Eine eigenwillige Gesellschaft aus Kunst und Regionalpolitik: der Fotograf Diabelli,der Maler Waldstein, der Dichter Kalkbrenner. Der Komponist Burgmüller ist derjenige, der von Anfang an vehement zweifelt am Gelingen des Zeit-Experiments. Johanna Diabelli kann der Wiederholung des Abends durchaus etwas abgewinnen, ist die Fete im Vorjahr für sie doch mit einem ansprechenden amourösen Erlebnis ausgegangen. Für genügend Anreiz zum Small Talk in skurrilen Wendungen ist gesorgt, nicht nur wegen der Kreativität der Künstler. Der Oberbaurat, der jetzt freilich „schon alles gesagt hat“, hat seinerzeit „alle Irrenhäuser der Stadt geplant und und gebaut“, wo jetzt gerade Künstler gerne gesehen sind.
Diese Leute kommen allein, zu zweit oder in Grüppchen nach vorne, ins mehr oder weniger halbdunkle Hausinnere, um zu plaudern oder zu philosophieren, sich in Szene zu setzen oder vielsagend zu schweigen. Eine bunte Szenenfolge, mehr addiert als verbunden. Schrullige Typen pusten ausgiebig Luft in Sprechblasen, andere treffen mit ein paar Wörtern jene „Weltbilder“, die gleich am Anfang beschworen werden: Gemälde, die jeweils exakt einen Ausschnitt der Welt abdecken und dieses Saegment zugleich aufs Detaillierteste wiedergeben, so dass man die Wirklichkeit und das Gemachte gar nicht mehr auseinanderhalten kann. „Auch die Wirklichkeit ist oft eine gute Erfindung“, sagt einer.
Aus der burlesken Party-Szenerie wird – nach der Pause – eher handfestes Philosophieren. Das ist dann zwar entschieden tiefgründiger, aber auch langwieriger. Gert Jonke (1946-2009) ging es ums Wesen der Zeit, der Wiederholbarkeit, um die vermeintliche Reproduktion der immer gleichen Seicht- und Dummheiten ebenso wie um ein Herausschälen dessen, was wir für bar nehmen, obnwohl wir es uns eigentlich nur ausdenken. „Wie die Köpfe mit uns umspringen“, das ist in der Hauskonzert-Episode höchst illustrativ ausgebreitet.
Wacker führt die Regisseurin das an Typen prägnante Ensemble durch die Textflut. Episodenhaft bleibt der ganze Abend freilich, aufgehellt immer wieder von Jonkes ironischen Pointen. Letztlich geht die Aufführung etwas zähflüssig dahin, findet nicht so recht ihren Rhythmus. Einmal wird eine schwarze Haut aufgeblasen zur Riesen-Bubble, die die ganze Bühne füllt, die Mernschen verdrängt. Diese paar Minuten, in denen nichts geschieht, machte das eher ratlose Premierenpublikum spürbar nervös, einige begannen, mit dem Handy das Schwarz anzuleuchten.
Die Bühnen-Düsternis und die gelegentliche Musik-Untermalung durch einen Trompeter und Marimba-Spieler erfordern vom Publikum gewisse Anstrengung beim Hinhören. Und gerade deshalb, weil man aufgefordert ist, dieses so genau wie möglich zu tun, wird einem bewusst: Gert Jonke hat sehr genau abgewogen, warum er eine Erzählung geschrieben und nicht ein Theaterstück verfasst hat. Es raschelt ja doch das Papier.