Der Vater ist immer der Gärtner…
REST DER WELT / WIEN / HUNDE GOTTES
13/10/14 …aber wer ist dann sein Mörder? Und wer sind die Mitwisser? Das mitwissen wir neuerdings aus dem Stück „Hunde Gottes“ von dem 1982 geborenen oberösterreichischen Autor Thiemo Strutzenberger. Es wurde im Schauspielhaus Wien aus der Taufe gehoben.
Von Reinhard Kriechbaum
Thiemo Strutzenberger (Jahrgang 1982) grast auf einer schon mehrmals abgearbeiteten Wiese: Strutzenberger (seit 2010 auch Mitglied des Schauspielensembles Wien) will ein neues Lied aufs Hollywood-Melodram singen. Besonders auf Douglas Sirk und seinen Film „All that Heaven allows“. Den haben zwar auch schon Rainer Werner Fassbinder (mit „Angst essen Seele auf“) und Todd Haynes (mit „Far from Heaven“) paraphrasiert – aber alle paar Jahrzehnte kann man schon dem guten alten Rührstück zur Gerechtigkeit verhelfen wollen. Es hat es verdient, denn bei näherer Betrachtung steht es ideologisch nicht so ungebrochen da mit seinem mehr oder eben weniger sanften Träume-Schäumen des Kleinbürgers vom unteren Rand der Bourgeoisie.
Also: Übergroße Gefühle, denn irgendwie muss alles raus an dem Abend, an dem Dante Alighieri Besuch von Francesco Petrarca bekommt. Ja, echt. Die florentinische Renaissance liegt freilich schon eine gute Weile zurück, deshalb sind Herr Dante und Herr Petrarca Architekten. Tut eigentlich wenig zur Sache, ermöglicht aber den einen oder anderen Gedankenausflug. Das eigene Seelengehäuse und das Haus, in dem wir wohnen, das Einladen oder Hineinlassen anderer ins jeweilige Interieur ist immer ein Thema. Irgendwelche geistige Regsamkeiten braucht man schließlich, auch wenn man auf unansehnlichen Dutzend-Gartenmöbeln hockt. Bühnenbildner Johannes Weckl hat auf der Wiese einen Riesenkopf bis auf die Oberlippe einsinken und ein kleines antikisierendes Säulchen umgefallen daliegen lassen. Merk auf: da ist ein Bildungskanon ist im Absaufen.
Alles muss raus: Betty Alighieri, Frau von Dante und Filmschauspielerin, offenbart ihrem Sohn Leonardo, dass eigentlich Mr. Deagan, Gärtner des Hauses, sein Vater ist. Der wusste bis dato auch nichts von diesem Sprössling. Dem Neo-Vater wiederum ist seine Tochter Laura davongelaufen, aber da kommt sie auch schon daher, als Freundin Petrarcas. Der hat sie als Prostituierte aufgegabelt. Jetzt macht sie einen Crashkurs in Sachen Bourgeoisie durch (so in etwa beschreibt Petrarca das amourös aufgeweichte sozialpolitische Unternehmen).
Was Thiemo Stutzenbergers Figuren alle andauernd tun: Sie heben zu Grundsatzmonologen an, die das ehrgeizige Philosophieren studentischer Achtundsechziger wie posthumen small talk erscheinen lassen. Gleich nach jeder Intelligenzkotzerei verdrehen sie die Augen, ringen die Hände, und bedeutungsschwere Musikwogen heben die Emotion gattungsspezifisch passend über die nächste Welle.
In einem 16-Spalten-Interview mit dem Autor im Programmheft erklärt dieser, wie komplex sein Gedankengebäude für das kleine Stück ist, wie viele Bezüge, Querverbindungen, Denk-Hinterhälte er eingebaut hat. Der Stücktitel „Hunde Gottes“ hat mit den Dominikanern zu tun, mit ihrem Einsatz gegen alle Sünde der Welt, und sogar Savonarola kommt da ins Gedankenspiel. So das Stück überlebt, können sich Theater-Theoretiker an so viel subkutaner Gelehrsamkeit viele Zähne ausbeißen.
Fürs erste Mal hat Barbara Weber als Regisseurin recht geschickt dreingeschlagen in den Wort-Wildwuchs. Nicht durch Kahlschlag mit der Machete, durch das Knicken des Dickichts zeichnet sich ihr Zugriff aus. Für den Autor ist Humor bestenfalls ein Nebenprodukt, aber die szenische Umsetzung durch Barbara Weber trifft ziemlich genau das Genre-Spezifische im Melodram: Je ernster und überdimensionierter die Gefühle, umso kräftiger zerren die Nervensignale in Richtung Ironie oder gar Parodie.
Saftige Typen auf der Bühne, auch wenn sie Papierenes von sich geben müssen: Katja Jung ist die alternde Schauspielerin Betty Alighieri, die das Schicksal ordentlich hin- und hergeworfen hat. Wenn sie ihr Geschick quasi selbst moderiert, ist jede Geste um das gewisse Etwas zu groß, um souverän zu wirken. Francesco Petrarca (Florian von Manteuffel) stolpert über die gut einstudierten Gesten des Bonvivants. Dante (Steffen Höld) legt schwarze Frauenkleider an, um als „italienische Witwe“ seine Nummer abzuziehen: „Meine Trauer ist wie Ernsthaftigkeit, die versagt“, erklärt er. „Zur Tragödie reicht es nicht hin.“ Nicola Kirsch als Laura ist jene, die von draußen in die Underdog-Bourgeoisie gerät.
Einen schönen Satz hat Thiemo Strutzenberger Francesco Petrarca in den Text geschrieben: „Die Liebe kann nur zwischen zwei Menschen hinein und viel weiter kommt sie halt nicht.“ So einfach könnte alles sein.