Ein neuer Lear dankt ab
REST DER WELT / GRAZ / DIE GÖTTER WEINEN
26/09/14 Den „Lear“ hat Udo Samel im Grazer Schauspielhaus schon gespielt. Jetzt ist er dort wieder eine Art Lear, als ein des Regierens müder Potentat unserer Tage, als abdankender Konzernboss Colm. „Die Götter weinen“ von Dennis Kelly, eine österreichische Erstaufführung.
Von Reinhard Kriechbaum
Widerspruch duldet dieser Lear unserer Tage ebenso wenig wie sein Shakespeare'sches Vorbild. Die Macht geht von heute auf morgen von Colm auf Catherine und Richard, zwei langjährig erprobte Führungskräfte, über. Sohn Jimmy schaut durch die Finger. Dessen kleine Spielwiese, das mittelamerikanische Belize, hat sich der alte Vater selbst als Pensions-Benefit gesichert. Dort will Colm – scheinbar wohltätig – selbst noch ein bisserl fuhrwerken. Nicht ganz koscher, aber immerhin mit humanitärem Anstrich: „Wir Menschen müssen diese Erde besitzen, aber müssen wir gleich Monster sein?“, doziert Colm, der Philanthrop in spe.
Und doch gehen die Monster rasch um. Die beiden neuen CEOs (jeder von ihnen herrscht ungefähr über eine Hälfte der Welt) beginnen augenblicklich, sich gegenseitig auszutricksen, und das führt überraschend schnell zum realen Krieg.
Die designierte Volkstheater-Regisseurin Anna Badora, die mit „Die Götter weinen“ in ihre letzte Saison als Schauspieldirektorin in Graz geht, hat den großen Stoff zur Chefinnen-Sache erklärt. Handfest und plakativ kommt ihre Regie im ersten Teil daher: Pointiert-knapp sind die episodenhaften Dialogszenen gefasst (sprachlich vom Ensemble leider oft oft nicht präzis genug), viel Bewegungstheater gibt es im Hintergrund. Es herrscht alsbald Mord und Totschlag, also darf es schon rund gehen. Ein paar Dutzend Sessel sind die einzigen Requisiten, die in choreographischen Intermezzi arrangiert, aufgetürmt werden. Der Konferenztisch wächst aus dem Boden, im Hintergrund flimmert eine videoanimierte Weltkarte (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Das Desaster ist global. Blutig geht der zweite Akt zu Ende, erschöpft geht man nach zwei Stunden in die Pause, durchaus irritiert. In „Dallas“ waren die Ränkespiele ergiebiger als beim englischen Theater-Vielschreiber Dennis Kelly (Jahrgang 1970).
Doch dann gewinnt die Aufführung unerwartet Intensität: Für vierzig Minuten sind nur mehr zwei auf der verwüsteten Bühne (alles Sessel liegen querfeldein): Colm, nun ziviles Oper seines eigenen durch Machtverzicht heraufbeschworenen Kriegs, und die junge Barbara: Das ist die Tochter eines alten Geschäftsfeindes von Colm, den dieser wirtschaftlich ruiniert und in den Tod getrieben hat. Hass der Jungen auf den Alten, eine subtile grausame Revanche? Nein, keine Spur davon. In einer Art Robinson Crusoe-Situation des Aufeinander-angewiesen-Seins entsteht eine von Empathie getragene zwischenmenschliche Situation. Echter Hunger – was für ein idyllischer Zustand gegen globale Machtspiele und skrupellose Ausnutzung humanitärer und in der Erde ruhender Ressourcen! Nachdem der Versuch mit einem Eichhörnchen schief läuft, schmeckt das endlich ergatterte Schaf doppelt gut. Noch nie schmeckte ihm ein's besser, befindet der abgeklärt lebensweise Colm. Da zieht Udo Samel alle Register leiser Zwischentöne, blinzelt versonnen gen Himmel. Und die vermeintliche „Feindin“ Barbara, zu der er etwas aufdringlich „Tochter“ sagt, steckt er mit seiner positiven Sicht aufs desaströse Leben an. Auch Katharina Klar liefert da eine zurückhaltende Rollenstudie.
Dass die Junge am Ende sterben muss, Colms Sohn anrückt und den Alten heimholt – da muss wieder Lear-Paraphrase sein.
Manches wird etwas direkt und platt diskutiert in diesem Stück, aber es trifft natürlich die Stimmung der Zeit. Und wenn man sich die den Plot beim alten Shakespeare holt, ist man jedenfalls auf der sicheren Seite.