Schwan voraus
OPER GRAZ / LOHENGRIN
04/10/13 In dieser Hochzeitsnacht muss einiges schief gegangen sein: Ein voneinander peinlich berührtes Brautpaar frühstückt auf weißer Terrasse. Bedrohliche Baumstümpfe scheinen wie Drachenleiber aus dem Boden zu wachsen, dürre Äste wie gotische Wasserspeier in den Himmel zu schreien. Die Katastrophe kommt näher. Gleich wird sie fragen.
Von Heidemarie Klabacher
Von Kastrationssymbolen hat man nach diesem „Lohengrin“ zunächst einmal genug. Dennoch verwurzeln und verästeln diese geschundenen archaisierenden Bäume, auf denen die gesamte moderne Bühnenbild-Architektur ruht, die Geschichte effektvoll im tief Psychologischen: In dieser Welt und den Seelen dieser Menschen ist schon lange nichts mehr heil. Die gottgesandten und beinah gottähnlichen Ritterwesen, die von der „überirdischen“ Gralsburg aus in die „irdische“ Menschenwelt geschickt werden, um Missstände zu beseitigen oder – wie im Falle Elsas – Unrecht wieder gut zu machen: Sie müssen scheitern. Die Vertreter der Gralswelt, strahlende Helden wie Lohengrin, können sich den Vertretern der Menschenwelt nicht verständlich machen. Elsa muss die Frage stellen: „Wer bist du denn eigentlich?“ So hilflos und traumverloren kann die Prinzessin von Brabant – und auch sonst keine Frau egal welcher Zeit – gar nicht sein. Bei aller Verzauberung durch den gottgleichen und vergötterten Helden muss sie doch irgendwo tief im Unterbewussten den ganzen Schwanenzauber infrage stellen: „Woher kommst Du überhaupt?“
Den Männern – vom König bis zu den Granden von Brabant – ist Schwan und Schweigen ziemlich schnurz, wenn der Ritter im Ernstfall nur fest dreinschlagen kann.
Bei all diesen Missverständnissen – bzw. Verständigungsproblemen zwischen irdischer und überirdischer Sphäre – brauchte es zum Scheitern den erbitterten Widerstand und die Intrigen der Zauberin Ortrud gar nicht mehr. Diese machen die Geschichte nur spannender.
Das vermittelt auch die Lohengrin-Regie von Johannes Erath am Opernhaus Graz: Ortrud, der erbitterten Anhängerin der alten Götter, ist der himmlische Gesandte und alles, wofür er steht, ein besonderer Dorn im Auge. Nicht nur, weil er ihr im Erfolgsfalle die Hoffnung auf den Thorn zunichte machen würde. Das ist kein Schaukampf im Märchenbuch oder in einem nach wissenschaftlichen Kriterien edierten Epos des 13. Jahrhunderts: Das alles ist ein Bild für den Kampf der Ideologien – erbittert geführt in allen Zeiten und Jahrhunderten und aktuell bis heute.
Das versucht Regisseur Johannes Erath deutlich zu machen, indem er immer wieder mit Motiven quer durch die Jahrhundert spielt: Da ist etwa der Heerrufer des Königs zunächst einigermaßen im Stile eines Märchenbuch- oder „Ludwig II. von Bayern“-Mittelalters gekleidet. Alsbald tritt er aber als Journalist des 19. Jahrhunderts vor den im Kaffeehaus Zeitung lesenden Männern von Brabant auf. Am Ende zeigt er sich noch rasch in der Kapuzenjacke des 3. Jahrtausends. Eine Reihe von „Kellnern“ trägt – vor dem Gang zum Münster - auf erhobenen Händen zunächst vertraute Insignien, wie Krone oder Ortruds Hut, vorüber. Dann einen Panzer. Der letzte Kellner marschiert ebenfalls in „Servierhaltung“ aber ohne Tablett vorbei, was sehr hitlergrussähnlich ausschaut. Das ist angenehm beiläufig. Überhaupt hält Regisseur Johannes Erath sich mit Nazi-Zitaten zurück, und auch die in der Oper „Lohengrin“ beschworene „Gefahr aus dem Osten“ wird nur mit der beinahe flüchtigen Einblendung eines zeitgeschichtlichen Fotos mit Panzer, Hammer und Sichel angedeutet.
Die Aufführung ist also grundiert von spannenden psychologischen Motiven und historischen Bezügen. Einzelne Regieideen bleiben als unaufgelöst und verquer in Erinnerung. Hauptspielort (bevor am Schluss die Bühne gnadenlos leer geräumt und die Hinterbühne sichtbar wird) ist zunächst ein eleganter zeitlos modernder Kubus (deutlich schwebend über den oben beschrieben kastrierten Baumstümpfen), bis in Kniehöhe scheinbar mit Schwanenfedern gefüllt. Das ist recht gut gemacht von Bühnenbildner Kaspar Glarner. Wenn Elsa als Braut nicht mehr barfuss daherkommt, sondern in Stöckelschuhen (Kostüme Christian Lacroix) auftreten muss, wird das „Besteigen“ des Münsters zu einer lächerlichen Kletterpartie. Solche Details irritieren zwar, beeinträchtigen aber nicht das in Summe spannende und nachdenkenswerte Gesamtkonzept.
Julien Selmkour leitet das Grazer Philharmonische Orchester und begleitete die Solisten facettenreich und klangvoll, dabei wohl ausbalanciert in der Lautstärke. Die Streicher bieten eine gut phrasierte, präzise saubere Basis. Die Blechbläser liefern, auch von der Proszeniumsloge aus, effektvoll strahlende musikalische Momente. Eine besondere Verneigung vor Chor und Extrachor der Oper Graz und dem Gustav-Mahler-Chor (Leitung Thomas Lang): Sie überzeugen musikalisch mit einem homogenen strahlenden Chorklang, und darstellerisch mit selbstverständlicher Natürlichkeit in allen Aktionen – und das sind in dieser Oper viele.
Die Solisten bieten respektable Leistungen: Derrick Ballard ist ein souverän profunder König Heinrich, Anton Keremidtchiev ein stimmlich beweglicher (in dieser Inszenierung seiner Gattin Ortrud besonders höriger) Friedrich von Telramund. Michaela Martens ist als Ortrud von bedrohlicher Präsenz. Sara Jakubiak ist als Elsa darstellerisch quasi nicht von dieser Welt, findet sich stimmlich aber zurecht.
Und Lohengrin selbst? Der in dieser Rolle debütierende Herbert Lippert hatte am Premierenabend mit Stimmsitz und Intonation schwerste Probleme, fand im Laufe des Abends aber zur Ruhe und brachte seine Partie zu einem immerhin respektablen Ende. André Schuen als Heerufer des Königs bietet die sängerisch überzeugendste Leistung des Abends.