Kindliches Hunnenspiel und tödliche Rauferei im Seniorenheim
REST DER WELT / WIEN / ATTILA
09/07/13 Mit Giuseppe Verdis neunter Oper „Attila“ beschliesst das Theater an der Wien die Saison. Peter Konwitschnys Regie polarisiert, wie zu erwarten, auch dieses Mal. Als ob die Buh-Rufer nicht gewusst hätten, was sie erwartet.
Von Oliver Schneider
Über 30 Jahre ist es her, dass in Wien Verdis Oper über den Hunnenkönig Attila zu sehen war. Damals in der Staatsoper. Attila macht im 5. Jahrhundert nach Christus auch vor Italien nicht Halt, tötet unter anderem den Herrscher von Aquileia und kann nur durch die Blutrache dessen tapferer Tochter Odabella gestoppt werden. Soweit Verdi und seine Librettisten Temistocle Solera und Francesco Maria Piave, der das Libretto vollendete. Zusätzlich kommen noch vor: der hinterhältige römische Feldherr Ezio, der sich selbst die Herrschaft über Italien sichern will, und der Edelmann Foresto aus Aquileia, der Odabella für sich gewinnen will und sich als rechter Macho aufspielt. Das letztere beeindruckt die italienische Amazone Odabella aber kaum.
Auch bei Konwitschny nicht, der sich wie zu erwarten auch nicht für die spätrömische Geschichte interessiert, sondern nach dem Bezug zum Heute gesucht hat. Er blendet die Ungereimtheiten im Libretto aus und erzählt die Geschehnisse als erst mit dem Tod endenden, von Gewalt beherrschten Konflikt der Protagonisten. Es geht wie immer um Macht, Rache, und Eifersucht. Als Kinder spielen die Protagonisten und der Chor den Einfall der Hunnen in Italien. „Hunnenkönig“ Attila zeigt schon als Kleiner, dass er ein Machtmensch ist, denn zwei seiner Spielkameraden müssen die Pferde spielen und seinen Wagen auf die weiße, klassizistische Einheitsbühne ziehen, die durch Einschnitte und Einschüsse bereits arg ramponiert ist (Ausstattung: Johannes Leiacker). Odabella und die anderen gefangenen Frauen können sich geschickt dank Selbstverteidigung der Übergriffe der Fremden erwehren.
Wenn dann Papst Leo als grauer Anzugsträger ins Hunnen-Lager kommt, ist es vorbei mit den Kriegsspielen. Konwitschny vollzieht den Zeitsprung in die Erwachsenenwelt, und aus den Kindern werden Mafiosi, die Spass daran finden, wenn sich junge Frauen die Kugel in den Kopf jagen müssen.
Auch für den Römer Ezio findet Konwitschny das passende Bild: Im Scheinwerferlicht träumt er vom unsterblichen Ruhm als Herrscher über Italien, dem auch Schüsse aus dem Zuschauerraum respektive den Foyers nichts anhaben können.
Das folgende Bankett im Lager Attilas findet seinen Ausklang in einer großen Party. Ganz so ,wie es wohl heute ablaufen würde, obwohl einzelne Besucher ihrem Unmut freien Lauf lassen und über die vermeintliche Vergeudung von Steuergeldern schimpfen. Auch Verdi und seinen Librettisten ging es schließlich nicht um die Hunnen, aber ob uns heute nördlich der Alpen die italienische Einigungsbewegung näher läge?
Am Schluss tragen die Protagonisten ihre Fehden im Rollstuhl sitzend, mit Krücken oder Rollator gehend aus, sind grau geworden oder haben die Haare verloren. Odabella kann ihre E-Gitarre immerhin noch spielen. Und sie kann endlich ihren Rachedurst stillen, indem sie auf den ohnehin nur noch schwächlichen Attila einsticht. Dann segnet sie, wie vor ihr schon der Erstochene, Ezio und Foresto, das Zeitliche.
So witzig viele Details dank dosiertem Slapstick sind, insgesamt erzählt Konwitschny eine grausame, zeitlose Geschichte. Im Gegensatz zu den vielen Bebilderungen, die man im Laufe der vergangenen Spielzeit sehen konnte, wird man diesen „Attila“ genauso wenig vergessen wie Konwitschnys „Don Carlos“ in der Staatsoper oder seine Grazer „Traviata“, die nächsten Sommer im Theater an der Wien gezeigt wird.
Auch musikalisch ist in dieser Neuinszenierung vieles im grünen Bereich. Riccardo Frizza führt das ORF Radio-Symphonieorchester mit Schwung und Kraft durch die Partitur und weiß die dramatischen Höhepunkte zuzuspitzen. Die Musikerinnen und Musiker fühlen sich beim frühen Verdi auch hörbar wohler als zuletzt bei Berlioz' „Béatrice et Bénedict“. Als Attila überzeugt Dmitry Belosselsky mit strömender, nobler Kantilene und der nötigen Bühnenautorität. Den römischen Feldherren Ezio gibt George Petean – als Kind mit Punkfrisur –, der über ein üppiges dramatisches und kultiviertes Timbre verfügt.
Nicht glücklich wurde man am Premierenabend mit Lucrecia Garcia als Odabella und vor allem mit Nikolai Schukoff als Foresto. Garcia führt ihren Sopran zwar ausreichend und bewältigt auch die heiklen Intervallsprünge. Leider ist ihre Stimme aber farbenarm, was ihren Vortrag eintönig macht. Wie auch Schukoff scheint sie sich am wohlsten im Mezzoforte zu fühlen. Bei Schukoff kommt hinzu, dass er am Sonntagabend mit den hohen Linien zu kämpfen hatte, so dass er einmal sogar in die Kopfstimme wechseln musste. Ausserdem hätte es sich gelohnt, im Vorfeld an der italienischen Diktion zu arbeiten. Wenigstens konnte vor allem Garcia, aber auch zum Teil Schukoff die stimmlichen Mängel durch das Spielen wettmachen.
Verlässliche Partner waren auch zum Saisonende der Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Erwin Ortner) und die Gumpoldskirchner Spatzen (Einstudierung: Elisabeth Ziegler).