Die Isolde schlechthin derzeit
REST DER WELT / WIEN / TRISTAN
26/06/13 Die Neuproduktion von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ ist in der Premierenserie ein Sängerfest in szenischer Beliebigkeit. Jubel für Nina Stemme, Peter Seiffert und Franz Welser-Möst am Pult.
Von Oliver Schneider
Nina Stemme eilt zurzeit in Wien von Triumph zu Triumph. Nach der Brünnhilde im letzten Ring-Zyklus steht sie nun wieder in der Rolle im Haus am Ring auf der Bühne, in der sie am Sängerhimmel zurzeit wohl unerreichbar ist. Als Isolde. Ihre Interpretation zeigt sich dank ihrer gereiften Gestaltung mit der warmen, in allen Registern tragenden Stimme aus einem Guss. Von der hochdramatischen Kraft im ersten Aufzug über den Farbenreichtum im zentralen zweiten Aufzug bis zur überirdischen Vereinigung mit dem dahinscheidenden Tristan im Liebestod. Bis auf den ersten Aufzug punktet die Stemme auch mit hoher Textverständlichkeit, wobei sie in diesem Bereich durch den sich komplett verausgabenden Tristan von Peter Seiffert noch übertroffen wird. Seiffert zeigte sich in der besuchten Vorstellung am vergangenen Samstag in Bestform, gab den Tristan ohne Überdruck und mit ausreichend Reserven für die kräftezehrenden Fieberträume. Mehr kann man sich von einer Tristan-Vorstellung nicht wünschen.
Mit Jochen Schmeckenbecher kann die Staatsoper einen Kurwenal präsentieren, der das Wesen des dienenden Freundes sängerisch mit klar fokussierter Linie und auch darstellerisch trifft. Stephen Milling gibt den doppelt betrogenen Marke mit stimmlichem Balsam und Würde, Janina Baechle kann als Brangäne erst auf der Burg Careoll am Ende des Abends ihre vokale Reife im Wagnergesang beweisen. Die kleineren Partien sind mit Mitgliedern aus dem Ensemble adäquat besetzt.
Für Franz Welser-Möst ist der „Tristan“ so etwas wie ein „Schicksalswerk“ im Haus am Ring. Im September 2003 sprang er dort probenlos für Christian Thielemann ein, nachdem er zuvor in Zürich sein „Gesellenstück“ abgeliefert hatte. Er legt vom zügig gespielten Vorspiel aus einen Gesamtbogen über den Abend, an dem er die Musiker zur richtigen Balance zwischen kompaktem und durchlässigem Spiel zu animieren weiss. Wenn ein einsamer Rufer nach der zweiten Pause weniger Lautstärke reklamiert, so ist dem allerdings teilweise zuzustimmen, wenn Welser-Möst das Orchester in mächtigen Gesten aufrauschen lässt. Doch bleibt auch der hohe Orchestergraben für große Besetzungen eine bekannte Hürde – und der richtige Platz im Zuschauerraum. Das Staatsopernorchester zeigt sich mit dem Chef am Pult von seiner Schokoladenseite – wunderbar rein zum Beispiel das traurige Englischhorn im dritten Aufzug –, von kleinen Irritationen im ersten Aufzug abgesehen.
David McVicar hat mit dem „Tristan“ sein Haus-Regiedebüt gegeben. Aber kann man überhaupt von einer Inszenierung sprechen? Besser passen würde der Begriff „halbszenische Aufführung“. Neben einigen symbolhaften Bildern zeichnet sie sich vor allem durch die vollständige Abstinenz einer Personenführung und altbackene Statik aus. Während des Vorspiels geht ein blutroter Mond auf, im ersten Aufzug sieht man den Schiffsburg. Im zweiten Aufzug dominiert ein phallusartiger Stamm umkränzt von einer Aureole die Bühne. Beim „Oh sink hernieder“ erstrahlt die „Aureole“ in Neonblau mit roten Streifen dazwischen. Im dritten Aufzug ist es wieder der blutrote Mond, der die Aufmerksamkeit für einen Augenblick fesselt. Schließlich Isolde eilt im roten Kleid zum sterbenden Tristan. Passend zum Ganzen sind immerhin die wallenden Gewänder der Protagonisten (Ausstattung: Robert Jones). Sinnlosen choreographischen Aktionismus bieten Markes tanzende Gefolgsleute (Choreographie: Andrew George).
Für den Wiener Repertoirebetreib wird sich dieses Arrangement so gut eignen wie die letzte Produktion von Günter Krämer. Aber eigentlich erhoffte man sich von dieser Neuproduktion, die nun wieder Jahre buckeln muss, etwas mehr.