Dauer-Loop um einen Wirtshaustresen
REST DER WELT / LINZ / TRIUMPH DER PROVINZ
17/05/13 Persönlichkeitsspaltung im fortgeschrittenen Stadium, ein Fall von theatraler Verhaltensauffälligkeit? In Linz hat man vor ein paar Wochen das neue Musiktheater eröffnet. Während man damit ganz vorne mitmischt, unterläuft das Schauspiel – gleiche Institution, gleicher Intendant – die Jubelstimmung mit intensiver Befragung des offenbar super-ruinösen Provinz-Daseins.Von Reinhard Kriechbaum
Da war also jüngst die Uraufführung „Alpenvorland“ von Peter Arzt. Nicolai Gogols „Revisor“ (Premiere vor wenigen Tagen) gehört auch in den Themenkreis. Und nun noch, in der demnächst aufzulassenden (oder richtiger: der ambitionierten freien „Bühne 4“ zu überlassenden) kleinen Linzer Alternativ-Spielstätte „Eisenhand“, Felicia Zellers „Triumph der Provinz“. Ist da eine Eiterbeule aufzustechen – oder steuert man bloß mit Selbstironie dem Übermut gegen?
Leicht überdrehte Provinzbacken also in Felicia Zeller 2002 uraufgeführten Stück. Den Trick mit den nur beinah fertigen Sätzen hatte Felicia Zeller (populär geworden mit „Kaspar Häuser Meer“, 2007) schon damals raus. Zum Punkt kommen sie eigentlich nicht, die acht Einzelkämpfer, die in einem altmodischen Wirtshaus ihren Frust verklemmt, aber laut- und wortstark ausleben. Das Schaf, das die Autorin eigentlich als neunten Protagonisten vorschreibt, Sinnbild des Angepflockt-Seins, steckt hier in einem Kobel am rechten Bühnenrand. Aber es ist vermutlich genau so Chimäre wie der Traum der Protagonisten vom selbstverwirklichten Leben anderswo. Ihnen allen geht es so, wie eine gleich zu Beginn hinausposaunt: „Da, wo ich herkomme, da geht überhaupt nichts.“ Frustwuchteln beim bewegten Ausmalen des Stillstands. Am allerwenigsten geht ja das Weggehen. Da müsste man sich schließlich weiterbewegen, und damit haben sie es alle nicht so sehr.
Dauer-Loop um einen Wirtshaustresen. Alle Versatzstücke sind ausrangierte (oder gar noch genutzte?) Dinge aus dem Gasthaus nebenan. Fehlt eigentlich nur noch die Music-Box.
Eine träumt von größeren Brüsten, eine andere von weniger Pickeln im mit Makeup zugekleisterten Gesicht. Einer fühlt sich als Super-Anmacher, doch seine Masche will partout bei keiner funktionieren. Ein Pärchen schmust andauernd miteinander, wenn sie nicht gerade eifersüchtelt und er ihr versichern muss, wie sehr er sie liebt. Sie hat auf die gleiche Frage übrigens noch viel weniger eine Antwort als er.
So geht das also dahin. Nach zehn Minuten ist klar wohin, ins Nirgendwo. Und dann wird es ein wenig mühsam, auch wenn die Aufführung selbst von den schauspielernden Jungspunden vom dritten Jahrgang der Linzer Bruckner-Universität sehr ambitioniert, nicht mal nur mit Eifer und Temperament, weiterbefördert wird. Die Figuren wären schon gut gezeichnet (da hat Regisseurin Heike Frank gut gearbeitet) – aber all das tragt nicht mal neunzig Minuten.
Die vielen Studienkolleginnen und Kollegen bei der Premiere haben begeistert durchgelacht. Die etwas Erwachseneren (deutlich in der Minderzahl) haben manchmal verwundert dreingeschaut. Vielleicht wird auf dem Programm-Faltblatt einfach zu viel Thomas Bernhard zitiert. Das weckt (falsche) Erwartungen an Heimat-Beschimpfung, denen „Triumph der Provinz“ bei weitem nicht genügt. Irgendwie nervt auch die konkrete Umsetzung im nostalgischen Ambiente, gerade, weil sie mit dem Text so parallel geht: Die Patina entwickelt nicht genug Charme, weder jene der konkreten Aufführung (Regie: Heike Frank) und schon gar nicht jene des Texts selbst, der deutlich älter wirkt als elf Jahre. Wenn Franz Xaver Kroetzt das vor 35 Jahren geschrieben hätte…
Man wird das Gefühl nicht los, dass die Autorin mit „Triumph der Provinz“ reichlich aufdringlich eine urban-überhebliche Sicht aufs Dorf-Volk auslebte. Nicht, dass man die Kirche unbedingt in diesem lassen solle. Aber anno 2003 kommunizieren selbst Provinz-Eier per Facebook. Ihr Eiern täte man also doch gerne ein wenig zeitnäher sehen, sonst geht es einem wie dem tollpatschigen Frankaxel, einem netten Blumenkind der Sohn-, eigentlich Enkelgeneration: Er fühlt sich wie im falschen Film.