Entdeckungsreise im faschistischen Gefängnis
REST DER WELT / WIEN / FIDELIO
25/03/13 Im Rahmen des Festivals „Osterklang“ bietet das Theater an der Wien dank Nikolaus Harnoncourts Lesart Beethovens Liebes- und Freiheitsoper musikalisch zugespitzt, dafür szenisch konventionell.
Von Oliver Schneider
Wenn Nikolaus Harnoncourt am Pult steht – sei es im Konzert, sei es im Orchestergraben –, spaltet er das Publikum. Eines muss jedoch jeder Zuhörer unumwunden zugeben: Bei Harnoncourt bleibt nichts dem Zufall überlassen, ist alles aus dem Notentext und historischen Zusammenhängen heraus begründet. Manchmal mögen seine Interpretationen verstören, wenn er an verkrusteten Hörgewohnheiten rüttelt und die Tempi bis aufs Äußerste ausreizt. Meistens aber lädt er zu spannenden Entdeckungsreisen ein. Es darf selbstverständlich auch anders klingen, wie andere Maestri beweisen, die sich Werken nicht weniger tiefgründig wie Harnoncourt nähern. Entscheidend ist, dass man sich auf eine solche Lesart einlässt und die Ohren für „Neues“ spitzt.
Das muss man bei Harnoncourts drittem „Fidelio“, bei dem er wie letzten Sommer in der Salzburger „Zauberflöte“ am Pult seines Concentus Musicus steht. Hier wird bis ins kleinste Detail aufgefächert, hört man jede Nebenstimme, erklingen die Trompeten messerscharf. Unnötig zu sagen, dass Harnoncourt weiß, wo die Akzente zu setzen sind, wie die Tempodramaturgie auszusehen hat, wann Pausen eine beklemmende Wirkung entfalten müssen, ohne dass die Musik ihren natürlichen Fluss verliert. Wenn Harnoncourt am Pult steht, ist das Orchester nicht routinierter Begleiter, sondern immer auch Haupt-Protagonist. Und gleichzeitig deckt es die Solisten nicht zu, sondern bettet sie förmlich auf einem Samtkissen, so dass auch Leonore und Florestan nie forcieren müssen. Im Theater an der Wien brillieren heute wie bei der Uraufführung Sänger mit lyrischen Stimmen, wobei natürlich auch die Größe des Hauses und die Akustik ihren Teil dazu beitragen. Auf Übertitel wird auf Wunsch des Leitungsteams verzichtet. Doch das ist mühelos möglich.
Die sängerische Überraschung des Abends bietet Juliane Banse, die in den letzten Jahren nicht immer eine glückliche Hand bei der Wahl ihrer Rollen zeigte. Oder der nicht immer die richtigen Dirigenten zur Seite standen. Als Leonore jedenfalls kann sie in Wien vollauf punkten, zumal Harnoncourt sie väterlich um die Klippen der Partie herumführt, so dass sich ihre Enge im hohen Register kaum bemerkbar macht. Bei Michael Schade kommt das „Gott! welch Dunkel hier“ zu Beginn des zweiten Akts gestochen klar und Schmerz erfüllt, wie aus dem innersten der Seele. Wenn seine Stimme in den letzten Jahren auch metallischer geworden ist, so verleugnet sie doch nie das lyrische Fundament. Lars Woldt als Rocco ist der dritte sängerische Höhepunkt des Abends. Er stattet den Mitläufer im repressiven System mit Wohlklang und festem Stimmsitz aus. Er macht aber vor allem darstellerisch in seiner Gold-Arie auch deutlich, dass Roccos Charakter auch andere Seiten besitzt und er sich einen Seitenwechsel zu seinem eigenen Vorteil jederzeit offen hält.
Für den Pizarro ist Martin Gantners Bariton eine Spur zu liedhaft und balsamisch, hier würde man sich mehr Schwärze wünschen. Seine Boshaftigkeit muss er dadurch untermauern, dass er am Ende des ersten Akts einen wehrlosen Gefangenen erschießt. Anna Prohaska gefällt als Marzelline mit leichter Stimmführung, bei Johannes Chums Jaquino kündigt sich der Fachwechsel schon deutlich an. In Herbert Föttingers Regie hat die erste Szene, in der Jaquino um Marzellines Gunst buhlt, im Übrigen ganz im Einklang mit Harnoncourts Lesart nichts bieder Singspielhaftes. Da wird keine Wäsche gebügelt, sondern Marzelline arbeitet als Sekretärin im totalitären System (Kostüme: Birgit Hutter).
Außer, dass Föttinger das Werk politisch klar verortet, zeichnet sich seine erste Opernregie durch Konvention aus. Gespielt wird in schwarz-grauen Gefängnisräumen mit faschistischen Symbolen, die Personenregie ist passend zum oratorienhaften Charakter sparsam. Im zweiten Akt geht es von der auflösenden Gefängnisszene gleich weiter mit dem Schlussbild. Die die Handlung retardierende Leonore III-Ouvertüre ist gestrichen, und der Jubelchor „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“ erklingt wieder einmal in Konzertversion (ausgezeichnet der Arnold Schoenberg Chor), wozu es am Finalschluss auch noch im Zuschauerraum hell wird. Das wäre nicht nötig, der Konzertschluss aber bestätigt sich als ideale Lösung, zumal das plötzliche Auftreten des Ministers als Deus ex Machina (Garry Magee) szenisch schwierig glaubhaft umzusetzen ist. Alles in allem, eine ordentliche Inszenierung ohne Mätzchen im Bühnenbild des verstorbenen Rolf Langenfass, die nicht von der Musik ablenkt.
Noch bis Ostersonntag bietet das Orchesterklang-Festival Geistliches von Bach, Britten und Händel, bevor dann die Wiener Symphoniker mit ihrem traditionellen Konzert „Frühling in Wien“ dem Winter hoffentlich den Garaus machen.