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Den Anschluss – den haben wir durchgekaut

REST DER WELT / LINZ / LAND DER LÄMMER

17/03/12 Eigentlich ist es ja genau so, wie es Franzobel in seinem Text „Die Zischsuppe“ en passant einen der beiden „normalen“ Österreicher sagen lässt: „Zum Anschluss ist alles weggesagt.“ – Uraufführung in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters: „Land der Lämmer“

Von Reinhard Kriechbaum

„Den ‚Anschluss‘ haben wir durchgekaut“, legt der Autor Thomas Arzt einem Jungen in der Schülergruppe beim Besuch in der Gedenkstätte Mauthausen in den Mund. Darum kann es also nicht (mehr) gehen. Gerhard Willert, der Schauspielchef am Linzer Landestheater, hat für sein „dramatisches Kaleidoskop“ mit dem Titel „Land der Lämmer“ zehn Autorinnen eingeladen, eher über die Lämmer heutiger Tage zu reflektieren. Kann ja gut sein, dass der Nazi in uns lauert. Oder schlummern andere, nicht minder autoritäre Indoktrination im Zeitgeist, sind sie gar schon aufgeweckt und schnappen fröhlich nach den politisch Korrekten, nach den sich „aufgeklärt“ Fühlenden?

So edel gedacht, so gut. Dann muss aber etwas passiert sein in Linz. Vielleicht haben die Dramaturgen einfach bei ihren Aufträgen an die Autoren einfach drauf vergessen dazuzusagen, dass nicht ein Lesebuch, sondern eine Theateraufführung herauskommen soll. Zehn Texte jedenfalls, wacker und mehrenteils erfreulich weit weg von Klischeebildern, mancher sogar originell im Denkansatz. Aber kaum einer von einer Machart, die für die Bühne taugt. Da musste Regisseur Gerhard Willert immer wieder zu Tricks greifen, die mehr als bemüht wirken. Chorisches Sprechen ist besonders beliebt, aber so wird aus papierenen Vorlagen noch lange nicht griechische Tragödie.

Die epische Breite ist fatal, man fühlt man sich von Worten auf dem Stuhl in den Kammerspielen genagelt, als ob man dort schon seit dem „Anschluss“ selbst hockte. Das Ensemble kann nichts dafür, legt sich mächtig ins Zeug. Die Bühne: ein Arena-Segment, das an ein Fußballstadion denken lässt. Weiße Stufen, mehrere Schalensitze aus Plastik, ordentlich zusammengelegte rote Decken. Da stehen und sitzen sie also, marschieren manchmal en bloc in den Zuschauerraum und kommen wieder, tun halt irgendwas, damit es nicht nur nach Lesung aussieht.

Aufrüttelnder Text in Unmengen, Elferschießen mit Bedeutungs-Vokabeln. In „My secret garden“ lüftet Falk Richter die Decke über der scheinbaren Gnade des Vergessens. Leute in Fertigteilhaus-Haft, „entsetzliche Stille und nichts kam an die Oberfläche“. Sie haben ihre Kinder geschlagen, weil „ihre einzige Vorstellung von Gesellschaft das Militär“ ist.

Schnitt zur grellen Mieze Medusa, einer oberösterreichischen Vertreterin des Poetry Slam. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“, prekäre Arbeitsverhältnisse einer jungen quirligen Vertreterin der Generation Ich-AG. „Und davon kann man leben?“, wird sie immer wieder gefragt. Da könnte man zum Nazi werden, bei so viel Frust. Soll man aber nicht. Betty Shamieh, eine palästinensisch-stämmige Amerikanerin, lässt eine islamische Englisch-Lehrerin darüber ventilieren, ob ihre Schulklasse im Gaza-Streifen mit den Tagebüchern der Anne Frank gut beraten ist. „Aufmerksamkeit kriegen heißt siegen!“, ach ja… Der etwas hohle Text heißt „Das lachende Echo“. Hitler ist der Echo-Lacher, und dazu malt sich das Ensemble Bärte auf die Oberlippen. Kein Hakenkreuz weit und breit übrigens, von plumper Illustration mit solchen Dingen hielt sich Gerhard Willert tunlichst fern.

Ein wortgewaltiger Sprechchor: „Die Schatzsucher“ von der in Berlin lebenden Österreicherin Gerhild Steinbuch. Eine bizarre Gespensterszene (wiederauferstandene Nazi-Geister), die man ruhig hätte mehr „ausmalen“ dürfen: „Das Blut des Achten Tages“ von Barbara Grinberg, einer französischen Filmemacherin. Thomas Arzt bemüht etwas verkrampft die unterschiedlichen Gedanken von Besuchern der nahe Linz gelegenen KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Lerne: Gedenken lässt sich nicht verordnen, Gedanken sind eigensinnig.

Von dem Engländer Martin Krimp wollte man wissen, „Was ein Schriftsteller schreiben kann, wenn es mit dem Schreiben vorbei ist“ – aber das hat man bis zu dieser allerletzten Szene (man hält in der 185. Minute) ohnedies mehr als ausgiebig beantwortet bekommen. In der vorherrschenden papierenen Trostlosigkeit muss man Robert Schindel Dank abstatten für seinen dann doch Zeitgeschichte-Bilder herbeizaubernden Beitrag „Dunkelstein“. Und vor allem Franzobel, der zwei Österreicher bramarbasieren lässt. Das ist bestes Kabarett solcher Art, wie es Helmut Qualtinger einst mit seinem „Herrn Karl“ in Wien unübertrefflich (und Jahrzehnte, bevor Vergangenheitsbewältigung verordnet worden ist) geboten hat.

Im Zentrum steht ein elendslanger Monolog, „Der Besuch des österreichischen Kanzlers in der Schweiz“ von Michel Vinaver. Der Pariser Uralt-Literarphilosoph hat eine Abhandlung geschrieben, über den Anschluss, den österreichischen Populisten Jörg Haider und den Umgang mit solchem Braun-Populismus in der Schweiz. Ein gescheiter Text, von einem siechen Schauspieler (Sven-Christian Habich) auch berührend vorgelesen. Sonderbarerweise wird er durch die Pause unterbrochen, was man womöglich für einen dramaturgischen Kniff halten sollte. Der Text ist übrigens im Programmheft abgedruckt, man könnte das also einfacher haben.

Aufführungen bis 30. Mai - www.landestheater-linz.at

 

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