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„Gott?“ - „Ja, am Apparat.“

REST DER WELT / GRAZ / FAUST

17/12/12 „Ich hab hier eine Karte für Goethes Faust“, reklamiert Mephisto, Parkett Mitte sitzend, nach gut einer Viertelstunde. Recht hat er. Goethes Verse kommen im Grazer Schauspielhaus nicht ganz so schnell in Fahrt. Dann aber umso rasanter. Doch zuerst hören wir Faust die längste Zeit hinter dem Vorhang mit sich hadern, während vorne ein Typ steht, der gerne telefoniert.

Von Reinhard Kriechbaum

„Gott?“ - „Ja, am Apparat.“ Über Gott und die Welt plaudern die beiden, über Europa, Selbstmord und Gutmenschen. Der Mensch sei die Krone der Schöpfung, befindet der sächselnde Gott fast trotzig, während man Faust von hinten toben hört: „… und leider auch Theologie ...“

Den Berliner Rundfunk-Gott-Plauderer Ahne hat man nach Graz eingeladen. Könnte schließlich leicht sein, dass bei Faust I und II an einem Abend Textknappheit ausbricht. Da baut Ahne vor, und seine Handy-Intermezzi brechen die Geschichte aufs Hier und Heute herunter. Aber es ist sowieso rasch klar, dass Peter Konwitschny den Faust abklopft in Richtung Zügellosigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Erwartungsgemäß findet sich viel Hellsichtiges.

Homunkulus? Eine Schöpfung am Touch-Screen. Tablet-Computer anstatt Reagenzglas, aber der erfüllt ja auch, was da geschrieben steht: „Was künstlich ist, verlangt geschloss'nen Raum.“ Ist erst mal die Notenpresse in Gang gesetzt öffnen sich alle Schleusen. Walpurgisnacht und Antiken-Burlesque-Show: Da sind wir mitten drin in der virtuellen Künstlichkeit einer übersexualisierten Welt. Scharfer Schnitt hinüber zur Helena-Geschichte: Einsam sitzen sie da, Helena und Faust als Bewohner benachbarter Garconnieren im Plattenbetonbau, beide mit Notebook am Wohnzimmertisch. Sie träumt sich mit blonder Perücke in die (bessere?) Antikenwelt, er holt sich zwischendurch mal einen runter. Live-Begegnung ist eigentlich nicht programmiert. Wenn sie endlich zusammenkommen, ist Mephisto als Stimmungsmacher reichlich überfordert, wie überhaupt der Teufel, je weiter Gott weg rückt und je mehr sich Faust als technokratischer Macher geriert, immer schlechtere Figur macht. Der arme Teufel wird arg zernepft und trägt zuletzt eine blutige Kopfbinde. Am Ende wird er genau so am Ende sein wie Faust.

Diesen Mephisto hat man vom Wiener Burgtheater geborgt: Udo Samel. Anderthalb Kopf ist er kleiner als der schlacksig wirkende Jan Thümer. Faust kommt in den ersten Szenen wie ein in die Jahre gekommener 68er-Intellektueller daher, wogegen Mephisto in seinem schwarzen Anzug eher als biederer Bourgeois wirkt, als leicht herablassender, süffissanter Beobachter. Wie Udo Samel kurzbeinig und gemessenen Schrittes über die Bühne kurvt und schelmisch dreinschaut!

Im Verlauf der Gretchen-Geschichte scheint Mephisto noch absolut Herr der Lage. Gretchen landet schließlich im Bordell (Erste Walpurgisnacht), wo sie Faust mit künstlichem Bauch foppt. Die Unschuld ist ihr genommen, ordentlich. Den Faust lässt sie einfach stehen, geht durch den Zuschauerraum ab und sagt selbst, fast ein wenig keck: „Ist gerettet“. Katharina Klar ist ein starker Typ für diese junge Frau mit Kanten. Das pubertäre Mädchen braucht Faust nicht erst lange zu verführen.

Betten, schlichte Eisenbetten, kommen reichlich und leitmotivisch vor. In jenem von Faust lässt Mephisto sich gemächlich nieder, während dieser das im Zorn umgeschmissene Bibliotheksregal wieder einräumt. Gretchen turnt in dem ihren und es hat den Anschein, dass sie, die noch Unschuldige, das Bett als eigentlich schon als zu groß für sie alleine einschätzt. Betten kommen vom Schnürboden herunter und fahren per Drehbühne für die Bordell-Szene am Ende des ersten Teils herein. Und auf einem Bett schweben Faust und Mephisto im zweiten über der Antiken-Show. Ein überdimensionales Bettgestell dient dem Kaiser (Thomas Frank) und seinem Hofstaat als Podium und Vergnügungs-Areal, hier erliegt die Gesellschaft dem „Papiergespenst der Gulden“, wie es bei Goethe so schön heißt. Gegen Ende werden auch Philemon und Baucis (Rudi Widerhofer, Gerti Pall) ihre müden alten Glieder auf eine schlichte eiserne Liegestatt lagern. Die Episode mit diesen beiden nutzt der Regisseur, um den Aspekt der Natur-, ist gleich Menschenzerstörung anzusprechen und durchzuspielen.

Erstaunlich, wie Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker eigentlich nur mit Betten und ganz wenigen Versatzstücken respektablen Bühneneffekt gerieren. Der Regisseur hat den Rotstift ordentlich wüten lassen und Rollen zuhauf eingespart – und doch fühlt man sich ganz nah an Goethe. Man wird ergötzt von Ahnes Zwiegesprächen mit Gott, die als apart-leichtgewichtige Intermezzi allfälligen Pathos augenblicklich zerstäuben oder ihn gar nicht erst aufkommen lassen. Ein Text-Steinbruch? Geht ja gar nicht anders mit Faust II, und der Tragödie erster Teil ist in der Aufführung eher als Vorspann gewichtet: Mit Gretchen beginnt Fausts Spiel wider die (göttliche?) Ordnung, mit Kaiser und Hofstaat setzt er es fort, mit der Décadence virtuellen Realitätsverlusts steuert er auf eine ultra-fröhliche, aber logischerweise ruinöse Apokalypse zu. Eigentlich weist uns Peter Konwitschny an diesem Abend ins Theater als eine ziemlich moralische Anstalt ein. Wir besuchen sie mit Lustgewinn.

Und was sagt Gott zu dem Spektakel? Er verurteilt nicht, das ist in Ahnes telefonischer Comedy nicht vorgesehen. „Habt ihr wieder Krise?“ fragt er höchsten leicht ironisch. Keine Identitätskrise dort oben, an Selbstmord hat Gott noch nie gedacht. Wäre, wie er sagt, „ja schon rein technisch nicht möglich“. Folgert der irdische Gesprächspartner: „Du brauchtest also Sterbehilfe?“ Vor solchem Background verliert auch der Chorus Mysticus allen Pathos. Er ist auf die Frauen-Personnage aufgeteilt, auf Gretchen, Baucis und die Freudenmädchen, die man in der Schauspielschule der Kunstuniversität gecastet hat. Das Weibliche eben. Mit diesem Wort bricht man ab. Wäre vielleicht nicht die schlechteste Option für diese Welt.

Aufführungen bis 6. Februar 2013 - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Lupi Spuma

 

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