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Melodien-süffiger Hader mit dem leidenden Gott

REST DER WELT / GRAZ / STYRIARTE

29/06/12 Vom vergossenen Blut des Gekreuzigten ist die Rede in dem Chor „Tui nati vulnerati“, aber Dvorak setzt das im Sechsachteltakt um, mit einer fagott- und klarinettenseligen Begleitung, dass man böhmisches Volksmusikantentum zu greifen meint!

Von Reinhard Kriechbaum

Für Antonin Dvorak war sein „Stabat Mater“ – ein auch von Brahms hoch gelobtes Werk – der Erfolg schlechthin. Heutzutage freilich ist es aus dem Kanon der Oratorien-Literatur gekippt, was auf den ersten Blick verwunderlich ist: Kaum ein Werk aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann sich an Effekt und Melodienreichtum mit dieser gut anderthalbstündigen Vertonung messen.

Wieso also nicht ein gleichberechtigter Platz neben dem „Deutschen Requiem“ von Brahms oder dem Verdi-Requiem? Gäbe ein Dirigent jeder süffigen melodischen Wendung nach, ließe er die Zügel locker, wo sich die Sache so recht emotional oder auch schmeichlerisch anführt: Es würde effekthascherischer Bombast daraus. Nikolaus Harnoncourt freilich, der strenge „Klangredner“ auch in romantischen und post-romantischen Gefilden, behält genau da Übersicht und Strenge.

Am Donnerstag im Grazer Stephaniensaal, in der ersten von drei Aufführungen, legte er dieses „Stabat Mater“ gleichsam auf die Werkbank. Was mag Dvorak wichtig gewesen sein? Die biographische Situation (der Tod dreier Kinder binnen weniger Jahre) wird immer wieder ins Treffen geführt. Harnoncourt, der die Zahl der Streicher im Chamber Orchestra of Europe reduziert und damit die Bläserfarben entscheidend aufgewertet hat, lässt die Brüche zwischen quasi-folkloristischer Plakativität und Verstörung mit besonderer Aufmerksamkeit herausarbeiten. Da kommt das „Eja Mater, fons amoris“ wie ein pietistisch weichgezeichneter Marsch daher, aber dann, aufs Wort „fac“ (mache!), schlagen Chor und Orchester mit frappierender Wucht drein. Der da singt oder betet, der hadert mit Gott und er weiß seine Forderungen an ihn nachdrücklich zu formulieren. Dieses „fac“, das im Text des Stabat Mater mindestens in jeder zweiten Strophe vorkommt, wird sehr unterschiedlich gewichtet – im Lauf der anderthalb Stunden schließt der imaginäre Protagonist seinen Frieden mit dem Gekreuzigten. Freilich: Eine so ungetrübt-orgiastische Finalsteigerung wie im Schlusssatz verkraftet man im 21. Jahrhundert nicht mehr ganz so leicht…

Musik ganz nach dem Interesse von Harnoncourt. Dvorak setzt jeden der zehn Sätze auf einprägsame rhetorische Motive auf, die in alle Richtungen verarbeitet, modifiziert, aber auch hartnäckig wiederholt werden. Scheinbar Weiches verwandelt sich unter der Hand in schmerzende Attacke. Eine echte Herausforderung diesmal für den Arnold Schoenberg Chor, für die Tenöre beispielsweise, die gleich zu Beginn das „Stabat Mater“ so lyrisch herauszustellen haben. Oder für den kleinen Frauenchor, der vom Harmonium begleitet die beruhigende Antwort gibt auf den Bass-Solisten, der vom brennenden Herzen singt und dabei vom schweren Blech untermalt wird. Die Kontraste (und in der Instrumentation manch Hitzköpfiges) kommen in Harnoncourts Interpretation anschaulich heraus.

Ein Glücksfall die Solisten: Luba Orgonásová bringt ihren Sopran auch im Pianissimo gegen welche Instrumente auch immer leuchtkräftig über die Rampe. Elisabeth Kulmann (Mezzosopran) übermittelt auch das Dramatische wohl gefasst, ohne jedes Vibrato. Der Tenor Saimir Pirgu hat einen  großen Moment, wenn er das von Dvorak wie ein Kinderlied gesetzte „Fac me vere tecum flere“ mit berückender Schlichtheit fasst. Ruben Drole (Bass) schließlich bewährt sich im engen Kontakt mit den Bläsern.

Die Mutter und der Sohn am Kreuz: eine Zuspitzung des diesjährigen „Styriarte“-Themas „Familienmenschen“. Oft ist Musik heuer von Rezitation begleitet, und da hat man Harnoncourt am Sonntag in einer ganz anderen Rolle erleben können: als Vater Mozart, lesend aus Briefen.

Dvoraks „Stabat Mater“ unter Niko,laus Harnoncourt wird am Samstag, 30.6., um 21 Uhr in ORF III bertragen, und am selben Abend ist es an vielen Orten als „ORF-Steiermark Klangwolke“ zu erleben. Hörfunkübertragung am Sonntag, 15.7., 11 Uhr in Ö1 – www.styriarte.com
Bilder: www.styriarte.com / Werner Kmetitsch

 

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