Die strophenreiche Litanei der Einsamkeit
REST DER WELT / GRAZ / DIAGONALE
21/03/12 Erstaunlich schon, wenn ein Literat zum Drehbuchschreiben eingeladen ist, und dabei ein ganz einsilbiger Film herauskommt - der dann trotzdem anmutet wie erzählfreudige Prosa. „Spanien“ von Anja Salomonowitz eröffnete die „Diagonale“. Johannes Silberschneider nahm den Schauspielpreis entgegen.
Von Reinhard Kriechbaum
Der Frontalzusammenstoß zweier Autos ist der bei weitem lauteste Ton dieser 102 Filmminuten. Ein Knall, der einen Migranten frei setzt. Er rechnete damit, dass ihn die Schlepper nach Spanien bringen würden. Nach Madrid wäre es aber nach diesem Unfall noch eine weite Strecke, denn der Moldavier Sava findet sich in Niederösterreich wieder. Der Einsame unter Einsamen: Ein Pfarrer hilft ihm weiter, lässt ihn in einer Kirche Heiligenstatuen restaurieren. Dort werkt auch die Restaurateurin Magdalena, wortlos. Man schweigt einander an, einen ganzen Film lang, und kommt sich doch so nahe wie nur.
Andere Handlungsfäden, andere Protagonisten: Magdalenas Ex-Mann ist bei der Fremdenpolizei. Den Einsamkeits-Frust des Geschiedenen sublimiert er mit einem Hass auf alle, die in einer Beziehung leben. “Was sagen Sie ihrer Frau?“, will er wissen von all diesen Männern, die es im Gegensatz zu ihm geschafft haben. Dann ist da noch Gabriel, Kranfahrer, ein Muster von einem Familienvater, wäre nicht seine Spielsucht.
Gemeinsam mit dem Autor Dimitré Dinev hat die Wiener Filmemacherin Anja Salomonowitz Plot und Drehbuch ihres ersten abendfüllenden Spielfilms entwickelt. Sie hat es damit nicht nur in den Diagonale-Eröffnungsabend, sondern zuvor schon ins Forum der Berlinale gebracht. Ein Märchen oder eine krasse Schilderung realer Einsamkeit? Ein Konglomerat an entrückten Bild-Metaphern oder eine Sequenz aus alltäglichem Horror? Die Regisseurin und ihr Drehbuch-Dichter machen uns die Entscheidung so leicht nicht, denn sie rücken die Protagonisten gerade so weit heraus aus dem „normalen“ Leben, dass zur Projektionsfläche taugen. Jeder Zuseher wird in dem Bündel einsamer Existenzen seine Spielart des Phänomens entdecken.
In einer desolaten Kirche spielen viele Szenen, und die Restaurateurin Magdalena malt daheim obendrein Ikonen. Für die Augen der Heiligen – ihre Spezialität – holt sie Männer von der Straße zum Modellsitzen, was zu Missverständnissen Anlass gibt. Magdalena, Lukas: Die biblischen Namen sind ebenso wenig zufällig wie das Umfeld aus verhängten Heiligenstatuen. Der von der Filmemacherin angestrebte erdige Braunton in der Ausstattung spielt nach ihrer Aussage symbolkräftig mit hinein: „Braun wird in der Farblehre für bodenständige Menschen verwendet“, erklärt sie. Aber das irritiert auch, denn gerade die Bodenhaftung, die Rückbindung an Heimat und Beziehung haben diese Leute ja eingebüßt. Sie taumeln irgendwie haltlos dahin. Die Widersprüchlichkeiten im Subtext machen den Reiz aus, ebenso wie der so übehaupt nicht inflationäre Umgang mit dem Wort. Man kann sich auf den Sog einlassen, sich hineinziehen lassen in eine Geschichte, die so beiläufig in Fahrt kommt und doch in die Unerbittlichkeit einer Antikentragödie steuerte – wären da nicht die Aufheller, die kleinen unerwarteten Winkelzüge im Skript. Nicht jede Unheilswolke führt zu Blitz und Donner, vieles löst sich auch unversehens.
Die Regisseurin kostet die Gesichter ihrer Darsteller aus: Tatjana Alexander (Maddalena), so anziehend wie unnahbar. Cornelius Obonya, der seine Ex-Frau dauer-stalkende, selbstmitleidige und zugleich brutale Fremdenpolizist. Lukas Miko als der spielsüchtige Softie-Ehemann. Und natürlich Grégoire Colin (Sava), der hinter seiner Wortlosigkeit und seinem handwerklichen Geschick verbirgt, dass er ein Überlebenskünstler von Gnaden ist. All diese Figuren haben ihre hellen und dunklen Seiten, und die sind subtil herausgearbeitet. Und Wolf Bachofner ist Priester – und nur das, nicht Frontmann der Einsamen. Klischees sind geschickt minimiert in diesem Film.
Johannes Silberschneider hat bei der Diagonale-Eröffnung den diesjährigen Schauspielerpreis bekommen. Er hat nicht nur den Stiftern der Auszeichnung gedankt, sondern, „dem österreichischen Menschen für diesen Vorlagen-Fundus“, aus dem er in über dreißigjähriger Karriere geschöpft habe. In „Spanien“ haben wir am Dienstag (20.3.) gleich drauf die verschiedensten Spielarten aus diesem Reservoir sehen dürfen.