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Nur eines nicht: kein Geld haben

REST DER WELT / WIEN / MAHAGONNY

31/01/12  Steht heute Brecht mit seiner Zeigefinger-Kapitalismus- und Gesellschaftskritik auf den Spielplänen der Theater, geht man häufig unberührt nach Hause. Woran das liegt? An den Regisseuren, die möglicherweise mit den Mitteln des epischen Theaters nichts mehr anfangen können, an den Schauspielern oder an uns selbst? - „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill steht 82 Jahre nach Uraufführung erstmalig auf dem Spielplan der Staatsoper.

Von Oliver Schneider

altWenn Brecht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den mahnenden Zeigefinger mit seinem Theater jenseits jeglichen Naturalismus und Realismus erhob, war das neu, löste Nachdenken, Betroffenheit bei den einen, Widerspruch bei den anderen aus. Brechts Kritik mag auch heute nichts an ihrer Berechtigung verloren haben, nur: Der heutige Zuschauer ist längst dagegen immun, hat sich spätestens mit den politischen Umwälzungen Ende der achtziger Jahre mit der wohl unabänderlichen Realität arrangiert. Dies lässt jede Brecht-Deutung zur Herausforderung werden.

Dies gilt selbstverständlich auch für Brechts Libretti für das Musiktheater. Die Wiener Staatsoper hat diese Herausforderung dankenswerterweise angenommen und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill auf Brechts Libretto als Erstaufführung auf den Spielplan genommen.

Während Europa nach dem Ersten Weltkrieg von einer Hungersnot und Inflationsängsten geplagt in einen rauschhaften Wirtschaftsaufschwung taumelte, dem eine weltweite Rezession ein jähes Ende setzte, schien es in Amerika möglich, rasch sein Glück zu machen und reich zu werden. Symbol dafür ist die Stadt Mahagonny, eine Verballhornung von Mahagoni, gegründet von drei Gangstern, in der man alles darf, sogar töten, nur eines nicht: kein Geld haben. Das bekommt auch der Holzfäller Jim Mahoney zu spüren. Als er seinen Whisky nicht bezahlen kann, kostet ihn dies das Leben. Nicht einmal sein Freund Bill oder seine Geliebte, die Hure Jenny, wollen ihm aushelfen. Beim Geld hört der Spass auf.

altJerôme Deschamps hat Weills und Brechts Kapitalismus- und Gesellschaftskritik szenisch für das Haus am Ring umgesetzt und sich dabei mit seiner Bühnenbildnerin Olivia Fercioni an die Vorgaben des epischen Theaters gehalten. Die 20 Szenen stehen wie Momentaufnahmen nebeneinander, ein Stadt- oder Hafenprospekt im Hintergrund, Heinz Zednik als Erzähler berichtet und kommentiert die Entwicklung der Hauptfigur, der Stadt Mahagonny. Die Protagonisten sind gewollt holzschnittartig gezeichnet. So weit, so gut.

Weill selbst empfiehlt in seinem Vorwort zum Regiebuch „größte Sparsamkeit in den szenischen Mitteln und in dem Ausdruck des einzelnen Darstellers“. Und: „Der Bühnenaufbau soll so einfach sein, dass er ebenso gut aus dem Theater heraus auf irgendein Podium verpflanzt werden kann. Die solistischen Szenen sollen möglichst nahe an den Zuschauer gespielt werden.“ Beides beherzigt das Regieteam. Doch Sparsamkeit des Ausdrucks sollte nicht so weit gehen, dass es zu Rampensingen wird, und genau das geschieht vor allem im ersten, ohnehin handlungsärmerenTeils des Abends. Der zweite Teil macht es Deschamps leichter. Preisboxens, Jacks Tod wegen Überfressens im wahrsten Sinne des Worts und die groteske Gerichtsverhandlung, die mit Jims Verurteilung zum Tod endet: Hier kann der Regisseur zumindest Tableaus schaffen. Viel Abwechslung bieten auch die fantasievollen Kostüme von Vanessa Sannino.

altRundherum befriedigt Ingo Metzmacher am Pult,der mit dem Staatsopernorchester die stilistisch gemixte Partitur mit Songs, neoklassizistischen Elementen und kritischen Zitaten mit edlem Klang zu Gehör bringt. Metzmacher lässt die mit perfekter Stimmkultur intonierenden Musikerinnen und Musiker luftig und nachvollziehbar musizieren, stellt bewusst weniger die Schärfen und mehr das melodiöse Fliessen in den Vordergrund. Den markanten Impuls hebt sich Metzmacher für den eindringlichen Schluss des Abends auf, für den das Publikum Solisten, dem gut einstudierten Chor (von Thomas Lang) und dem Orchester am Ende der zweiten Aufführung herzlichen Applaus spendete.

Wie es sich für ein Haus wie die Staatsoper gehört, hat man stimmlich ein Ensemble zusammengestellt, das keine Wünsche offen lässt: Elisabeth Kulman ist die beherrschende Witwe Begbick, Tomas Konieczny ein robuster Dreieinigkeitsmoses, Christopher Ventris gibt einen heldischen Jim Mahoney und Norbert Ernst einen spielfreudigen Jack. Nur Angelika Kirchschlager scheint zuweilen mit der Tessitura zu kämpfen. Jedoch Singen allein genügt für Weills vielschichtiges Werk nicht, und für das gesprochene Wort würde man sich Schauspieler wünschen.

Alles in allem ein Abend mit Stärken und Schwächen, der sicher nichts für das Repertoire ist, dafür eine willkommene Spielplanabwechslung.

Weitere Vorstellungen: 30. Jänner, 2. und 5. Februar - www.staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

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