Vom Flirten und Lieben im Brunnen
REST DER WELT / GRAZ / PHÄDRA
09/01/12 Phädra, Frau des Theseus, eine Kokotte? Ihre lüsternen Augen sind auf Hippolytos gefallen, den Sohn des Königs. Aber sie flirtet überhaupt gerne, die ultra-leichtgeschürzte Dame. Zum Beispiel mit einem Zuschauer aus der zweiten Reihe, dem sie schöne Augen macht und mit auffordernder Geste eine Konfektschüssel hinhält. Doch wenn der danach greift, zieht sie das Ding weg. So eine ist das.
Von Reinhard Kriechbaum
In Johannes Schmits Inszenierung von Racines Phädra im Grazer Schauspielhaus muss man (jedenfalls in der ersten Dreiviertelstunde) immer gewahr sein als Zuschauer, dass einen strenge oder verschwörerische, kokette oder leicht verschämte Blicke treffen: von Phädra (Claire Vivianne Sobottke), von Hippolytos (Christoph Rothenbuchner) und einer dritten Person (Rahul Chakraborty), die abwechselnd für Hippolytos' Geliebte Arikia oder die Amme Önone steht. Im Ballett würde man das, was die drei machen, einen "Pas de trois" nennen. Und wenn schon nicht Ballett, jedenfalls choreographiertes Bewegungstheater ist es, was wir über weite Strecken zu sehen bekommen.
Der Regisseur nimmt erst einmal bloß ein paar Sätze her, die Szene von Phädras Liebes-Bezeugung und Hippolytos' Ablehnung. Diese Sätze, diese Gesten, diese Schritte aufeinander zu und voneinander weg werden, wie man so schön sagt, "durchdekliniert": B wie Bewegungen oder Berührungen, K wie Körper, Z wie Zärtlichkeit - aber wenn man endlich bei diesem Z angelangt ist, wird die Sache ganz ungemütlich, denn da taucht Theseus (der eingangs, einer Diseuse gleich, eine knappe Inhaltsangabe geliefert hat) auf. Damit nähert sich das Bühnengeschehen plötzlich Racines Text, in einer altväterlich-"klassisch" anmutenden Übersetzung von Simon Werle. Ganz zuletzt, wenn der alte Theramen die letzten Momente im Leben des Hippolytos schildert und Theseus zum Schlussmonolog anhebt, ist man endgültig dort angelangt, wo konservativere Gemüter Theater-Klassik idiomatisch verorten.
Johannes Schmit spielt also mit dem Text, indem er ihn nicht auflöst, sondern nach und nach puzzelt. Aus vager Paraphrase und freiem, weitgehend nonverbalem Spiel Spiel der Assoziationen wird schließlich doch ein Beinahe-Stück zusammenfügt. Der junge deutsche Regisseur setzt auf einen bunten Mix aus neuen Ideen und alten Versatzstücken. So wie Bühnen- und Kostümbildnerin Clementine Pohl die Figuren gerne mit barock/popigen Kostüm-Accessoires behängt, lässt der Regisseur mit Gesten und Bewegungsmustern spielen. Ein langes, schmales marmornes Wasserbecken zwischen zwei Zuschauer-Blocken. er in zwei Blöcken gegenüber. In ihm und um es herum spielt die ganze Liebes-Chose, für die man die knackigsten Ärsche im Ensemble und den schönsten Busen sowieso gecastet hat. Leider nicht die an Ausstrahlung intensivsten Darsteller - und so wirken gerade die vielen pantomimischen Pas-de-trois-Szenen wie phantasievolle, brav eingeübte, aber letztlich recht trockene Theaterschul-Übungen. Das Wassergepritschel macht das nicht saftiger. Auch die Zuschauer in den vorderen Reihen bekommen etliche Spritzer der ausgelebten Lust ab.
Was genau uns Johannes Schmits mit seiner Grazer "Phädra" wohl erzählen will? Vielleicht, wie erotisch-lasziv geht es bei Hofe zugeht, wenn der König weg ist. Wahrscheinlich sind Phädra und Hyppolitos einander ja doch eine Spur näher gekommen als erlaubt. Jedenfalls: Je mehr Racin'scher Text dann hineinkommt, gewinnt der Abend an Kontur. Da stehen die sexy Jungspunde wie Lausbuben vor Theseus, einem braungelockten Monarchen im goldenen Hosenanzug. Steffi Krautz ist ein originell dunkel- und raustimmiger Theseus, sitzt auf einem Thron, der auch als Schiedsrichterstuhl auf einem Tennsiplatz durchginge.
Zum Schauen gibt es letztlich viel, und aus den anderthalb Theaterstunden spricht nicht des Gedankens Blässe. Aber: Bei aller Lust am Artifiziellen ist dem Regisseur der Faden zu einer Interpretation des Stoffes abhanden gekommen. Man nimmt letztlich also nur mit: burleske Szenen, viele hübschen Einfälle - und die große Erzählung des Theramen. Gerhard Baluch (derzeit auch als Philipp II. in einer einprägsamen Inszenierung des "Don Carlos" durch Ingo Berk in Graz auf der Bühne) zwingt da eine Konzentration herbei, die dieser "Phädra" als Ganzes abgeht.