Das ewig Weibliche
TIROLER FESTSPIELE ERL / TANNHÄUSER
19/07/11 „Tannhäuser-Jahr" ist: Bayreuth wird am 25. Juli mit einer Neuinszenierung eröffnet. In Erl ist Gustav Kuhn "runden" Festlichkeiten eigentlich abhold - macht aber auf dem Weg zu Richard Wagners 200. Geburtstag in zwei Jahren schon jetzt exemplarisch vor, wie man seiner „unvollendeten“ Oper unverkrampft begegnen kann.
Von Horst Reischenböck
Vier Versionen gib es von "Tannhäuser". Dennoch war Wagner, laut Cosima, gegen Ende seines Lebens mit keiner zufrieden. Gustav Kuhn entschied sich für die Pariser Fassung von 1861. 1500 Besucher im Passionsspielhaus Erl waren von der zweiten Aufführung (16.7.) begeistert.
"Tannhäuser" ist im Grunde genommen Wagners Schlüsselwerk, das ihm Raum zur Gesellschaftskritik gab - aber auch die Möglichkeit, seine eigene Ambivalenz im Frauenbild durch Verlagerung ins Mittelalter zu reflektieren. Er erfand etwa die "Personalunion" des sagenhaften Tannhäuser und Heinrich von Ofterdingen. Sänger sind das, die gleichfalls - psychologisch gesehen - gespaltenen Moralregeln folgten. Dichterisch verherrlichen sie zwar die „Minne“, aber sie müssen schwarz-weiß malen: kommen über den scheinbaren Gegensatz von "Heiliger" und "Hure" nicht hinweg. Venus kontra Elisabeth.
In Erl alles inklusive ausgedehntem Bacchanale, zu dem in Folko Winters praktikablem Bühnenbild Venus in ihrer Höhle im Thüringischen Hörselberg liegt. Die Beine gespreizt, wartet sie darauf, dass Tannhäuser in ihren Schoß kriecht. Das „Personal“ verwandelt sich währenddessen von Nonnen in jugendliche Haremsdamen: Langbeinig - dennoch nicht ganz Salzburgs einstiger Palmers-Werbung folgend - würden die zehn Damen in jedem Schönheitswettbewerb bestehen. Den Eisenacher Damen im zweiten Aufzug dagegen verpasste Lenka Radecky Kostüme und Kopfbedeckung mit einem Hauch von Ascot.
Gustav Kuhns Personenführung zielte einmal mehr schnörkellos aufs Wesentliche und erzählte damit schlüssig die Handlung: In der Titelrolle triumphierte der mexikanische Tenor Luis Chapa schon im Duett mit Mona Somm als optisch nur relativ verführerischer Venus. Chapa blieb auch weiterhin textverständlich, etwa im Sängerkrieg gegen Julian Orlishausens aufbegehrendem Biterolf. Er behielt aber genügend Reserven, um auch noch der gestalterisch fordernden Rom-Erzählung nachhaltig Profil zu verleihen.
Zuvor durfte Michael Kupfer, Mozarteums-Absolvent, im Lied an den Abendstern baritonalen Schmelz verströmen - und einmal wurde dafür zu Recht bejubelt. Der finnische Bass Johann Tilli lieferte einen profunden Landgrafen. Die Sopranistin Nancy Weißbach wiederum punktete als Elisabeth sofort beim Hallen-Auftritt und berührte dann auch mit ihrem verinnerlichten Gebet. Sie alle wurden von Gustav Kuhn, der nicht allzu breite Tempi wählte, subtil begleitet: ganz nach auszudrückender Stimmung fein etwa in den Holzbläsern nachklingend. Wie überhaupt der vom Orchester der Tiroler Festspiele in den Streicherfarben satt ausgebreitete Klangteppich ebenso fein wie tragfähig gewoben war. Gelungene unverzichtbarer Basis für die Sängerleistungen. Mitreißend etwa das Jagdhorn-Sextett oder strahlend perfekt die Trompeten zum Einmarsch der Gäste auf der Wartburg.