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Brautverkauf mit höchster Rendite

REST DER WELT / GRAZ / STYRIARTE / DIE VERKAUFTE BRAUT

27/06/11 Nikolaus Harnoncourt, der vielen nach wie vor als Galionsfigur der Originalklangbewegung gilt, macht die techechisch-nationalste aller tschechischen Nationalopern - Smetanas "Verkaufte Braut" auf - Deutsch. Aber er macht sie bei der Styriarte in Graz dann doch denkbar "original" …

Von Reinhard Kriechbaum

Durch Zufall ist im Antiquitätenhandel vor einem Jahr ein Klavierauszug aufgetaucht mit der von Smetana selbst eingefügten Textübersetzung eines gewissen Emanuel Züngel. Da fehlten freilich noch die Rezitative - aber die entsprechenden Passagen fanden sich in der Originalpartitur im Prager Smetana-Haus. Bei den Aufführungen bei der "Styriarte" in Graz (Premiere war am 24. Juni) wartet man nun also mit exakt jener Textfassung auf, die Smetana (ein Deusch-Muttersprachler übrigens) für gut und richtig und für seine Musik passend befunden hat. Sie ist nicht so blumig wie die "handelsübliche" Übersetzung von Max Kalbeck und bei weitem nicht so pointiert wie jene von Kurt Homolka - aber sie ist von einer schlicht-einfältigen Melancholie durchströmt, und die wiederum bekommt der Musik sehr gut. Jedenfalls so, wie Harnoncourt sie uns aufbereitet.

Da hören wir also die Polkas und die vielen anderen tschechisch-idiomatischen Tänze an dem Ort, wo Harnoncourt vor zwei Jahren Gershwins "Porgy and Bess" hat swingen lassen. Der Altmeister ist eben für Überraschungen immer gut. Und es wundert natürlich nicht, dass die Sache nicht in unkontrollierte Lustigkeit ausartet und Harnoncourt sich - wie gewohnt - viel Zeit lässt. Da gräbt sich die Ernsthaftigkeit durch die dem Folkloristischen angenäherten Musikschichten. So wie Schuberts vermeintliche Volkstümlichkeit kaum einmal in echten Volksliedern ankert, hat auch Smetana mehr den Duft, die Aura der Polkaseligkeit eingefangen. Hinter der Fassade stecket viel mehr Brahms'sche Melancholie, als man gemeinhin im Ohr hat. Auch Schubert'sche Doppelbödigkeit.

In diese Richtung also geht eine Reise, die Stück um Stück Überraschungen bereithält. Humor ja, Schmunzeln selbstverständlich - aber gewiss nie eine derbe Komik, die einen laut auflachen oder gar auf die Schenkel klopfen ließe.

Das Lavieren zwischen Dur und Moll zelebriert Harnoncourt mit dem famosen Chamber Orchestra of Europe. Das liest ihm wieder einmal jeden Wunsch von den Lippen ab. Diese wundersamen Klarinetten-Kantilenen im Duett, wenn Jenik seiner "ersten Mutter" nachtrauert und Marie ihm die ewige Treue bestätigt! Gleich drauf illustrieren die Fagotte grummelnd und plappernd mit unsäglicher Ironie die Diskrepanz zwischen den Überredungskünsten des Heiratsvermittlers Kezal und der etwas wortkargen Einfalt von Maries Eltern.

Urkomisch, wenn am Beginn des zweiten Akts der Männerchor von den Vorzügen des Gerstensafts, zugleich Jenik von der Liebe und Kezal vom Geld singt. Diese drei Ebenen finden natürlich auch im Instrumentalen ihren je eigenen karikierenden Niederschlag.

Die Aufführung funktioniert so tiefen-schichtig freilich nur, weil Harnoncourt wieder auf die Vertrautheit der Musiker und Sänger untereinander und mit ihm bauen kann. Dorothea Röschmann blüht als Marie auf, wird von der knackigen Unschuld zur Tragödin, und sie hat diesmal ihr charakteristisches Vibrato bestens im Griff. Kurt Streit, dieser fulminante "deutsche" Tenor, steuert ohne jede Schlacke in der hell timbrierten und bestens fokussierten Stimme über die unglaublichsten Höhen. Ruben Drole ist ein Kezal, der so gar nicht auf derben Humor setzt, sondern gleichsam parlierend, mit eloquenter Überredungskunst sticht: ein abgründig "schwarzer" Bass mit sagenhafter Wendigkeit. Gar keine bizarre, sondern eine echtes Mitleid erweckende Figur: Markus Schäfer als der tollpatschige Vasek, der ja eigentlich als Bräutigam vorgesehen wäre. Heinz Zednik ist der Zirkusdirektor, und ebenso luxuriös besetzt ist das Bauernpaar Krusina und Ludmila mit Anton Scharinger und Elisabeth Kulman.

Fürs böhmische Dorf steht ein Jahrmarktsgelände und dafür wieder - wie charmant! - ein Original: Man hat ein Ringelspiel aus dem Jahr 1926 erworben, Teile davon in geschwungener Linie hinter dem Orchester aufgebaut. Reizend, die gemalten Deko-Elemente und die bunten Glühlampen. Dort also eine Aufführung, die sich bescheiden "halbszenisch" nennt und doch keine Wünsche übrig lässt. Philipp Harnoncourt hat ein Arrangement, ein Environement (oder wie man das nun nennen mag) geschaffen, das dem Puls der Musik und eben auch der Melancholie haargenau entspricht. Die Einsamkeit der Liebenden, vermittelt im Retro-Look des alten Ringelspiels. Zwei Tanzpaare nur, aber eine Choreographie, wie unmittelbar Harnoncourts Partitur-Lesart abgelauscht.

Der Arnold Schönberg Chor ist mit gewohnter Präzision am Werk, die Chorgruppe steht zugleich für die staunenden und kommentierenden Zuschauer dieses Braut-Verkaufs, dessen hohe Rendite das hörende und schauende Publikum merklich genießt: Standing Ovations.

Weitere Aufführungen am 28, 30. Juni sowie am 2. und 4. Juli in der Grazer Helmut List Halle. - www.styriarte.com
Hörfunkübertragung am Samstag, 2. Juli, 19 Uhr, Ö1
Bilder: Styriarte / Werner Kmetitsch

 

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