"Herr, 50, sucht junge Frau - als Tochter"
REST DER WELT / GRAZ / BLIND DATE
13/05/11 Die ultimative Partnerschafts-Selbstheilung soll es werden: Ein Mann, fünfzig, und eine Frau, vierzig, geben Inserate auf und treffen sich zum Blind Date. Fürwahr ungewöhnlich für ein Ehepaar. - "Blind Date" nach dem Film von Theo van Gogh im Grazer Schauspielhaus.
Von Reinhard Kriechbaum
Ihr Kind haben sie verloren, bei einem Autounfall. Die Mutter hat den Wagen gelenkt, der Vater, Zauberer und Entertainer von Beruf, hat als Beifahrer wohl gerade den Harlekin gemacht. Das hat natürlich Folgen auf die Ehe, auf die Bett-Beziehung. Das Blind Date soll helfen, Dinge zur Sprache zu bringen.
"Blind Date" ist eine radikale Versuchsanordnung des 2004 von einem radikalen Islamisten ermordeten niederländischen Filmemachers Theo van Gogh. Im Grazer Schauspielhaus nun die Uraufführung des Stoffes auf der Bühne. August Zirner hat den Text übersetzt und auch die männliche Hauptrolle übernommen.
Ein "Blind Date" ums andere also, jeder Neuversuch verzweifelter und emotional hochgeschraubter als der vorangegangene. Jedes Treffen scheint zum Scheitern verurteilt. Die locker-kokette Begegnung mündet in plötzliche Aggression, der charmante Tanz führt genau dazu, dass die Partner das nicht finden, was sie eigentlich suchen: Frieden. "Sie sind aus dem Takt" - das ist die Grundbefindlichkeit, auch wenn aus der altmodischen Musicbox bekömmlicher Tango träufelt.
Unterschiedlichste Paar-Konstellationen werden durchgespielt in dem beklemmendem Kammerspiel: "Journalist und aggressive Frau" oder "Journalist, 50, sucht professionelle Hilfe". Man trifft sich in einem Lokal oder ausgerechnet im Autodrom. Die Dialoge werden immer ehrlicher, aufrichtiger: "Herr, 50, sucht junge Frau - als Tochter." Aber auch in krasser Weise bedrohlicher: "Sind Sie wegen des Inserats 'Neigung zum Suizid' hier?" Was mit zwei Gläsern Rotwein begonnen hat, wird mit Gift und Pistole beendet.
Die junge Regisseurin Bernadette Sonnenbichler lässt karg, konzentriert, aber auch mit Sinn für abgründige Situationskomik spielen. Steffi Krautz (Katja) hat viele Optionen, je nachdem, in welche Frauenrolle sie gerade schlüpft. Immer bleibt greifbar, dass es Verstellung, Flucht vor existenzieller Verzweiflung ist. August Zirner (Pom) spiegelt ähnliche Gefühlslagen in der Rolle des routinierten Plauderers. Schauspieler, die das Psycho-Versteckspiel brillant kultivieren. Ein Dritter ist noch im Bunde, Marcel, der Wirt. Stefan Suske gibt dieser einsamen, kontaktgestörten Figur die Züge eines Grand Guignol. Er ist viel mehr als ein Stichwortbringer.
Ein Tisch, ein Sessel, eine Bierkiste - das ist die Lokalausstattung, es gibt einen Tresen und eine winzige Varietébühne mit Schnurzieh-Vorhang. Vor allem bleibt Raum im Bühnenbild von Jens Burde - Raum, in dem sich in einem feinst justierten Spiel die übergroße psychische Last ausbreiten und Angst machen darf.