Lust über Leichen
REST DER WELT / GRAZ / LADY MACBETH VON MZENSK
11/04/11 Da geht's zur Sache: Katerina Ismailowa, unglückliche Ehefrau eines lendenlahmen Schwächlings, gibt sich dem Arbeiter Sergej hin. Regisseur Matthias Hartmann lässt im Bühnenhintergrund die Blechbläser aufmarschieren zum - so unmittelbar und unmissverständlich beschriebenen - wahrscheinlich ersten Orgasmus in der Operngeschichte.
Von Reinhard Kriechbaum
Diese eine Szene würde einen knalligen Umgang mit der Musik von Schostakowitsch' "Lady Macbeth von Mzensk" Musik suggerieren, in Wirklichkeit liefert Johannes Fritzsch am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters aber eine subtil ausgehorchte und vor allem zu den jeweiligen Sänger-Optionen bestens austarierte Wiedergabe. Da ist die spürbare Lust an der Bläserfarbe, die Streicher wirken insgesamt zurückgenommen. So ergibt sich ein klarer Blick auf Strukturen und Formen der Partitur, auf die raffiniert eingesetzten Genres, vom volkstümlichen Trepak über den parodistisch eingesetzten Walzer bis zum plakativ-grellen Marsch. Nicht zu vergessen auf die sublim gestalteten Orchesterzwischenspiele. In der Umbaupause zum letzten Bild wird noch der verhaltene Erste Satz der Kammersinfonie op.110a eingefügt.
Ein tragfähiges Orchesterfundament, auf dem sich die Protagonisten sicher bewegen können: Mlada Khudoley ist die Katerina, die auf ihrem so zielstrebig wie vergeblichen Streben nach Liebes-Erfüllung vor zwei Morden nicht zurückschreckt. Sie braucht stimmlich nicht zu forcieren, kann die Sehnsüchte, die ja auch in dieser Partie stecken, mit viel Lyrik auskosten. Herbert Lippert als Sergej: ein Charmeur mit Hang zum Snobismus und Ausbrüchen zum Charakterschwein: eine gestalterisch klug ausdifferenzierte Gestaltung. Die Besetzung hat was, weil dieser Sergej eben kein jugendlicher Draufgänger ist.
Vom größten Opernhaus ist des Landes ist diese Inszenierung von Matthias Hartmann ins zweitgrößte übersiedelt, von der Wiener Staatsoper (wo im Herbst Premiere war) in die Grazer Oper. Der Regisseur führt uns das Leben in einer durch und durch verrohten, von Wertvorstellungen losgekoppelten Gesellschaft in klaren und direkten Bildern vor. Eindringlich die Szene, wenn sich die Arbeiter - einer nach dem anderen, und natürlich auch Sergej - über die im Negligée in einem bottichartigen Wägelchen gefangene Axinja (Margareta Klobucar) hermachen. Von unsäglicher Brutalität aber auch der alte Boris Ismailow, dem Michail Ryssov dämonische Züge verleiht. Er wird, nachdem er Katerinas Seitensprung durchschaut hat, als erster mit Rattengift beiseite geräumt. Der unvermutet heimgekehrte Gatte (der Tenor Maylan Memioglu) ist das zweite Opfer, er wird erdrosselt.
Für das Ensemble der Grazer Oper hält das figurenreiche Werk viele Rollen bereit, die gediegen ausgefüllt werden: von Konstantin Sfiris (Pope) zum Beispiel, der mindestens so roh und verderbt ist wie die anderen. Ivan Orescanin hat als Polizist einen einprägsamen Auftritt. Da zeigt uns Matthias Hartmann eine Exekutive aus Schlägertypen, der man lieber nicht ausgeliefert wäre. Das mag wie manch anderes in dieser Inszenierung plakativ wirken, lässt aber nachfühlen, warum Dmitri Schostakowitsch nach einer Aufführung 1936, die Stalin besuchte, gravierende Probleme mit der Zensur bekam. Zu dem Zeitpunkt war die Oper in der UdSSR und auch im Westen schon zwei Jahre höchst erfolgreich gewesen. Der legendäre Prawda-Schmähartikel "Chaos statt Musik" machte damals dem Opern-Hit (und Schostakowitsch als Opernkomponist) ein Ende.
Einprägsam der Auftritt des "Schäbigen" (Manuel von Senden). Der Trunkenbold findet die Leiche des Ehemanns, was die Eheschließung von Katerina mit ihrem Liebhaber verhindert. Die beiden kommen ins Straflager.
Und dann also der Sibirien-Schlussakt, lähmend in der Düsternis und Bewegungslosigkeit. Wir sehen immer wieder, wie Wächter einzelne Gefangene niederknüppeln, wie aber durch Bestechung Wege zwischen Männer- zum Frauen-Gulag möglich sind. Da dreht Sergej den Spieß um, stilisiert sich plötzlich als Opfer von Katerina, bandelt an mit der jungen Sonjetka (Kristina Antonie Fehrs) und demütigt Katerina, indem er ihr die letzten wärmenden Strümpfe für die neue Geliebte abluchst.
Jubel nach der Premiere, einer Grazer Erstaufführung, am Samstag (9.4.).