Retro und fad
WIEN / STAATSOPER / DON GIOVANNI
13/12/10 Mit zwei Neuinszenierungen startet Dominique Meyer in seinen neuen Mozart-Zyklus. Mit „Don Giovanni“ ging er am Samstag (11.12.) an den Start. Franz Welser-Möst steht zum zweiten Mal in dieser Saison bei einer Neuproduktion am Pult. Der Auftakt zum neuen Mozart-Zyklus im Haus am Ring ist weder musikalisch noch szenisch geglückt. Hier heißt es: nachbessern.Von Oliver Schneider
Was auf den ersten Blick schön und einfach aussieht und klingt, birgt Tücken! Das gilt besonders für Mozarts Opern.
Scharf akzentuiert und voll packender Dramatik erklingt der Beginn der Ouvertüre. Welser-Möst und das Staatsopernorchester machen hier hörbar, dass es die nächsten Stunden um einen rastlosen Menschen geht, der mit Vollgas seinen eigenen Untergang anpeilt. Doch der Rest des ersten Akts leidet unter dem gleichen Problem wie die Zürcher Produktion 2006, ebenfalls unter Welser-Möst: Der klare Zugriff lässt nach, so dass die Musik nur mehr hübsch dahin plätschert. Kommt hinzu, dass Bühne und Orchester nicht immer restlos koordiniert sind. Außerdem fehlt den Rezitativen die nötige Spannung, so dass sie mehr wie retardierende Elemente wirken. Man fühlt sich in alte Zeiten zurückversetzt.
Leider lassen es auch die philharmonischen Bläser an der gewohnten Präzision fehlen. Waren vielleicht die vielen Aktivitäten der als Philharmoniker noch auf eigene Rechnung tätigen Staatsopernorchestermitglieder – Paris und Berlin mit Thielemann, ein Abonnementskonzert mit Esa Pekka-Salonen am Wochenende – schuld an diesem nicht dem Niveau des Hauses entsprechenden ersten Akt? Nun, zum Glück ist die Staatsoper ein Repertoire-Haus, so dass an der musikalischen Qualität der Aufführung weitergearbeitet werden kann. Welser-Möst wird auch die weiteren Vorstellungen in dieser Saison betreuen. Mit dem zweiten Akt ging es am Samstag auch in die richtige Richtung, zumindest das Finale besaß die Intensität, die Welser-Möst schon in der Ouvertüre erklingen ließ.
Wer Martin Kušejs oder Claus Guths Deutungen in Salzburg erlebt hat – man muss weiß Gott nicht mit allem einverstanden sein – der erlebt in dieser Wiener Neuproduktion von Jean-Louis Martinoty nur Fadesse.
Der französische Regisseur, der im Februar auch seinen Pariser „Figaro“ für die Staatsoper adaptieren wird, hat sich für einen traditionellen Zugang entschieden, was ja legitim ist. Aber auch in dem Fall muss die Geschichte glaubwürdig gespielt werden. Nur „gespielt“ wird in dieser „Neuinszenierung“ wenig. Als altbacken wollte Martinoty wohl nicht verschrien werden, weshalb er die Geschehnisse unnötigerweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts verortet. Mal wird in einem Gasthof an der Réception gespielt, mal in einem Weinkeller. Wirklich stark sind eigentlich nur die Schlussszenen, die Martinoty und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch in einer Familiengruft einer Kirche ansiedelt. Die Statue des Komturs wird zur Vanitas-Darstellung. Davor feiert der Wüstling sein letztes Gelage, wobei der Tisch eher einem Sarg ähnelt, um den auch schon die Totenkerzen stehen. Effektvoll schreitet der Komtur aus der sich öffnenden Statue, und am Ende versinkt Don Giovanni in die mit rotem Licht und Rauch angedeutete Hölle. Wenigstens ein versöhnlicher, konventioneller Schluss. Prächtig sind die Kostüme, die Yan Tax für den venezianischen Maskenball im ersten Akt kreiert hat.
Staatsopernniveau haben immerhin die männlichen Solisten. Ildebrando d’Arcangelo ist ein Don Giovanni, der voller Saft und Kraft auf das eigene Verderben zusteuert. Alex Esposito, der in Salzburg noch den Masetto gesungen hat, aber bereits in München als Leporello reüssierte, überzeugt nun auch im Haus am Ring mit Kern und Volumen. Steht ein schmiegsamer Tenor wie Saimir Pirgu zur Verfügung, wäre es schade, eine der beiden Ottavio-Arien zu streichen, weil man sich für die Prager oder die Wiener Fassung entscheidet. In Wien gelangt ohnehin die übliche Mischfassung zur Aufführung. Mehr als Schöngesang ist von Pirgu allerdings in dieser Inszenierung nicht verlangt, ist Ottavio doch bei Martinoty der übliche Schwächling. Ausgezeichnet ist auch Ensemblemitglied Adam Plachetka als Macho Masetto. Albert Dohmen ist mehr ein gutmütiger Großvater als ein zur Reue aufrufender Todesbote.
Von den Damen überzeugt eigentlich nur Sylvia Schwartz als Zerlina mit ihrem leicht ansprechenden Sopran. Roxana Constantinescu als Donna Elvira wirkt permanent überfordert. Sally Matthews steigert sich wenigstens im Laufe des Abends und besticht in ihrer letzten Arie mit aufblühendem Sopran und kontrolliertem Vibrato.
Das Regieteam musste vereinzelte Buhs einstecken, ansonsten stieß der Premierenabend auf breite Zustimmung.