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Der trojanische Krieg findet statt. Jetzt!

OPER GRAZ / LES TROYENS

20/01/25 Das trojanische Pferd – nichts als ein Spielzeug-Pferdchen das seinen riesenhaften Schatten auf die unzerstörbaren Mauern wirft... Das Gemetzel – eine Massen-Skulptur, bei der die Opfer sich geschmeidig in die Arme ihrer Würger und unter die Messer ihrer Schlächter legen... Mit radikalem Minimalismus betören und verstören Die Trojaner von Hector Berlioz in der Oper Graz.

Von Heidemarie Klabacher

Eine Prinzessin, eine Königin. Zwei Frauen, stellvertretend für alle Frauen aller Zeiten, die an einer Männerwelt des Krieges zerbrechen, in der auch der Sieg keinen Frieden bringt. Im ersten Teil von Hector Berlioz vierstündiger Grand Opéra Les Troyens steht die Trojanerin Kassandra im Mittelpunkt, im zweiten Dido, Königin von Karthago. Die Aufführungsgeschichte des zwischen 1856 und 1858 entstandenen Monumentalwerks ist langwierig, zur ersten vollständigen Gesamtaufführung kam es erst hundert Jahre nach Berlioz' Tod 1969 in Glasgow.

Das Libretto hat der Komponist selber, basierend auf Vergils Aeneis mit Anklängen an Shakespears geisternde Untote gedichtet. Niemand hört auf Kassandra, die davor warnt, das hölzerne Riesenpferd in die Stadt zu holen. Bei Berlioz nimmt Kassandra sich das Leben, zusammen mit den Frauen Trojas, die sich durch den Freitod einem schlimmeren Schicksal entziehen – eine der verstörendsten Szenen auf der minimalistischen Bühne von Henrik Ahr in der präzise die Charaktäre formenden und auslotenden Inszenierung von Tatjana Gürbaca. Eine elegante hölzerne Rampe auf der Drehbühne ist die Spielfläche. Bewegliche, ebenfalls elegante hölzerne Kuben (wären auch als Konzertmuschel geeignet) schaffen Mauern oder Räume. Auf der Hinterseite ein Fundus mit Krempel aus der Antike... Faden-dünn rinnt das Blut aus dem rechteckigen Stück „Boden“, das sich schon einige Szenen früher erhoben und – nun wissen wir es – mit der klaffenden Lücke zugleich das Grab der Trojanerinnen geöffnet hat.

Der Held Aeneas und seine Männer entkommen dem Massaker und werden von den Göttern – hier dem Geist Hectors – beauftragt, über das Meer zu fahren und das Trojanische Reich in Italien neu und größer erstehen zu lassen. Auf dem Weg liegt das Königreich Karthago. Dort stranden die überlebenden Trojaner nach einem Sturm und werden von der Königin aufgenommen.

Dido steht im Mittelpunkt des zweiten Teils von Les Troyens. Lange widersteht diese ihren Gefühlen, um ihrer Liebe für den Anführer der Trojaner, Sohn der Venus, schließlich heillos zu verfallen. Aeneas, der Dido tatsächlich ebenfalls warhhaft zu lieben scheint, hat dennoch größeres zu tun, als König in Karthago zu werden: Die Geister drängen zum Aufbruch und die Trojaner legen heimlich ab – nicht ohne in dieser Produktion die Schatzkammern geplündert zu haben. Dido nimmt sich das Leben.

Mareike Jankowski singt im ersten Teil die zentrale Partie der Cassandre stimmlich wie darstellerisch mit berückender Präsenz und Überzeugungskraft. Die Trojanerin ist in der Lesart der Regisseurin Tatjana Gürbaca weniger eine mythische Seherin, der wegen irgendwelchen Zoffs mit Apollo nicht geglaubt wird, sondern eher eine Person mit Verstand, die gegen den aufbrandenden Massenwahn mit Argumenten vergeblich ankämpft. Dass Troja ohnehin längst dem Untergang geweiht ist, demonstriert der gespenstische Triumphzug, mit dem das hölzerne Pferd – es ist die Szene mit dem Schatten des Spielzeugpferdchens – geleitet wird.

So abstrakt dieses Untergangsszenario auf die Bühne gebracht wird, so facettenreich, glänzend und farbprächtig „dargestellt“ wird es in der – in dieser Szene schrillen und beängstigenden – Musik von Hector Berlioz. Chefdirigent Vassilis Christopoulos und die Grazer Philharmoniker ergänzen mit stupend aufrauschendem Klangfarben-Reichtum das reduzierte Geschehen auf der Szene zum überwältigenden Bilderbogen. Das Ganze eine zeitlos modernee Klage über die Unsinnigkeit jeglichen Krieges. Dass Aeneas sich auf seinen Heldentod in Italien geradezu zu freuen scheint, ist da nur eine kleinere Absurdität.

Ebenfalls nur wenig Farbe, dafür den Charakter einer Ferienkolonie irgendwo im Star Treck-Universum, hat das Königreich Karthago. Ein aufstrebender junger Staat, in dem alles heiter ist und und in Badeschuhen wandelt. Hier herrscht – mit spürbar krampfhaftem Bemühen, ihrer Rolle gerecht zu werden Königin Dido. Noch immer dem ermordeten Gemahl treu, dabei unruhevoll in ihrer Einsamkeit, braucht es nur den Zündfunken, den der charismatische Aeneas an dieses Herz hält. Die Partie der Dido ist, wieder einmal, eine Paraderolle für Anna Brull. Wie sie – stimmlich mit vertrauter Perfektion, Delikatesse und Präsenz – darstellerisch überzeugend auf Didos emotionale Achterbahn mitnimmt, ist atmberaubend und rührt zu Tränen.

Die Partie des Enée singt Iurie Ciobanu mit geschmeidigem, bei Bedarf auch überzeugend strahlendem tenoralem Schmelz in jeder Lage und Wendung. Die vielen kleinen und kleinsten Partien – Ascagne: Ekaterina Solunya; Chorèbe, der Freund Cassandras: Markus Butter; Narbal, der hier traurig in seine Königin Dido verliebte weise Regierungsrat: Wilfried Zelinka – sind stimmlich überzeugend und typengerecht besetzt. Eine Jahrundertproduktion der Oper Graz – so monumental wie delikat in allen Facetten.

Les Troyens – Aufführungen in der Oper Graz bis 11. April – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch

 

 

 

 

 

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