In die Hochzeits-Kemenate? In den Krieg!
LINZ / VIEL LÄRM UM NICHTS
16/09/24 Das „Lieto fine“, die Doppelhochzeit, wie sie Shakespeare in Viel Lärm um nichts dem Komödien-Usus der Zeit entsprechend vorsah: Das war David Bösch schon verdächtig, als er das Stück 2006 im Thalia Theater inszenierte. Auch jetzt, zu seinem Antritt als Schauspieldirektor im Linzer Landestheater, ist am Ende nichts mit Jubel, Trubel, Heiterkeit.
Von Reinhard Kriechbaum
Schon damals war Patrick Bannwart der Bühnenbildner. Er hatte für diese Zirkuszelt-Produktion am Elbe-Ufer das entsprechende Manegen-Ambiente geschaffen, ein drehbares Rundpodest unter Glühbirnen-Girlanden. Ein Liebeskarussell, das in Wirklichkeit doch die Liebe nicht weiter befördert. Das funktioniert jetzt auch in der Bühnensituation des Linzer Schauspielhauses wunderbar. Die Inszenierung ist freilich kein Remake der Hamburger Aufführung, die damals auch zu den Salzburger Festspielen eingeladen wurde und für die David Bösch, damals ein Ende-Zwanziger, mit dem Young Director's Award ausgezeichnet wurde. Da ließ Bösch, deutlich hitzköpfiger, die Komödie in ein Blutbad kippen, das einem Shakespear'schen Königsdrama würdig gewesen wäre.
Aber von Anfang an: Zuerst kommt ein Clown auf die Bühne und sinniert über das Wesen des Kriegs. Der ist uns in der Zwischenzeit ja wirklich nahe gerückt. Dieser sinnierende Dichter-Clown – er trägt die Züge des Dichters – wird sich immer wieder zu Wort melden, oft mit Shakespeare-Zitaten aus anderen Werken. Auch das böse Ende wird er einschlägig zu kommentieren wissen: „Und das Ende ist … genau!“.
Es sind Kriegsheimkehrer, die da in Liebe entflammen (Claudio zu Hero) oder diese kategorisch verleugnen (Benedikt und Beatrice). Sie kommen tatsächlich direkt aus dem Feld, in Uniform, auf Motorrädern. Toxische, verrohte Männlichkeit? Bösch entwirft keine klischeehaften Charaktere, aber er macht doch deutlich, dass der Krieg diese Männer geprägt hat. Der Kunstgriff: Das wird eher unterschwellig gezeigt, der Tonfall bleibt locker, die Komödiantik unbeschwert und ungebremst. Es wollen ja alle lieben und können nicht. Oder nicht so gut. Ein jeder auf seine Weise. Claudio (Benedikt Steiner) übertreibt die Romantik mit solcher Vehemenz, wie Benedikt (Daniel Klausner) die Liebe ablehnt. Don Pedro (Helmut Häusler) hat eine Hitlerfrisur verpasst bekommen, bemüht sich um joviale Töne, ist aber der Liebes-Unfähigste in der Männerrunde. Sein Halbbruder Don Juan (Julian Sigl) ist in einem Sarg herbei transportiert worden, diesem aber doch lebendig entstiegen. Jedenfalls ist er auch einer, dessen Wesen im Krieg ganz entscheidend ramponiert worden ist.
Aber eben: All diese Figuren haben auch Charme, und ihre Intrigenspinnereien bersten schier vor Komik. Auf der Frauenseite hat natürlich Beatrice alle Trümpfe in der Hand. „Fräulein Zicke von Hochmut“ sagt Benedikt eingangs über sie. Theresa Palfi löst das hundertfünfzigprozentig ein.
David Bösch hat etwas ganz Unübliches getan: Als neuer Schauspieldirektor hat er das gesamte Linzer Ensemble übernommen, auch niemanden neu dazu engagiert. Er arbeitet also mit den vorhandenen Ressourcen. Hat Typen und Charaktere aber frisch bewertet. Wie ihm das Ensemble dies lohnt! In dieser Aufführung hat man das Gefühl, dass ein jeder und eine jede dem neuen Chef beweisen will, dass es gut und richtig ist, sie weiter zu beschäftigen.
Man kann sich beinah nicht satt sehen an den liebenswürdigen Einfällen, und es vergeht keine Minute, da nicht irgendwer irgend etwas liebenswert Unvorhergesehenes tut. Zum Totlachen auch die beiden Live-Musiker, der Pianist und Akkordeonspieler Joachim Werner mit Clownsnase und Irokesenfrisur und der Kontrabassist Georg-Maria Fichtenbauer, auf dessen Kopf der Stahlhelm wie festgewachsen wirkt. Die Musik (Karsten Riedel) hat hohen Stellenwert, fast alle melden sich mal auch singend zu Wort, und das reicht von der Schnulze bis zu Heavy Metal. Diese Musikeinlagen brechen samt und sonders ganz plötzlich ab, weichen dem rasanten Geschehen, wirken so spontan und ungezwungen eingeworfen wie die zahllosen Gags.
Und doch: Die eigentliche Unmöglichkeit „normaler“ Beziehungen, die nachhaltigen Irritationen hinter der Kriegs-Traumatisierung schimmern beständig durch. Dass es da nie und nimmer eine alles lösende und alles befreiende Doppelhochzeit geben wird dürfen: von Anfang an ausgemachte Sache. Der Kipppunkt ist erreicht, wennn Claudio der scheinbaren Untreue Heros (Vivian Miksch, eine Schauspielstudentin am Linzer Bruckner-Konservatorium) gewahr wird. Da werden aus den Männern jäh rabiate Krieger, vor denen man sich fürchten muss. Es ist als ob kleine, aber wirkmächtige Psycho-Hebel umgelegt werden. Die dreistöckige Riesen-Hochzeitstorte, die unterdessen die Bühnenmitte einnimmt, wird bald umgeknickt und das Band „Just married“ mit sich reißen. Plötzlich ein roher Ton. Aus den Degen-Scharmützeln werden sich Benedikt, Claudio und Don Pedro sogleich wieder per Motorrad verabschieden in Richtung Krieg. Dort gehören sie hin, nicht in die Hochzeits-Kemenate.
Beklemmend die Abschiedsszene zwischen Benedikt und Beatrice. Benedikt hat eine leichte Degen-Verletzung davongetragen. Den roten Fleck sucht er mit einer Jacke zu verdecken. Genug für Beatrice, die da wohl erkennt, dass dieser und die anderen Typen ihr Herzblut anderswo als in Frauen investieren werden. Hero, Beatrice und die Kammerjungfrau Margarethe (auch Katharina Hofmann hat einige liebensqwerte Apercus zur Komödie geliefert) sitzen nun sprachlos und alleine da, bis der Shakespeare-Clown zum Epilog (mit viel Hamlet) ansetzt und das Licht-aus-Zeichen gibt.
Das Linzer Premierenpublikum hat seiner Sympathie für den neuen Schauspielchef, aber vor allem der Begeisterung für das so blendend, mit akkuratem Timing ans Werk gehende Ensemble freien Lauf gelassen.