Krach in Krakau
LEHÁR FESTIVAL BAD ISCHL / DER BETTELSTUDENT
15/07/24/ Carl Millöckers unverwüstliche Operette „Der Bettelstudent“ macht mit effektvoller Inszenierung Furore. Mit dem musikalischen Ergebnis waren nicht alle glücklich. Das lag nicht an den Leistungen der Mitwirkenden, sondern an der seuchenhaft auftretenden Mode, Operetten zu verstärken. – Trotz der akustischen Malaise ist die Produktion besuchens – und diskutierenswert.
Von Gottfried Franz Kasparek
Eigentlich braucht nur der nicht besonders eindringliche Darsteller des diesmal kaum sächselnden Gefängniswärters Enterich – Walter Sachers, leider eine Fehlbesetzung – Mikroports, auf dass sein Gekrächze hörbar wird. Die Akustik im Ischler Kongress- und Theaterhaus ist zwar alles andere als ideal, sie trägt aber durchaus klassisch ausgebildete Stimmen und ebenso solche von Schauspielerinnen und Schauspielern, die mit Stütze und Charme singen können. Viele denkwürdige Aufführungen in der Ära von Michael Lakner haben es viele Jahre lang bewiesen.
„Der Bettelstudent“, zweite Premiere beim Lehár Festival Bad Ischl war an Sanstag (13.7.),ist über weite Strecken ein mit harmonischem Können und melodischer Inspiration gearbeitetes Ensemblestück in der Tradition der deutschen Spieloper eines Lortzing und Flotow. Also funktioniert das sonst übliche Runterfahren der Verstärkung in Arien und Duetten diesmal nicht so gut, da es die Balance stören würde. Was es braucht und was in Ischl wichtig wäre, ist eine Originalklangbewegung für die Kunstform Operette (und übrigens auch für das Musical vor den späten 70er-Jahren). Was passiert, ist ein akustisches Verbrechen, das noch dazu fehleranfällig ist und allerlei Nebentöne produziert. Die verzerrten Stimmen der Frauen klingen schrill und scharf, die der Männer zu laut oder zu blechern.
Dies ist jammerschade, denn Marius Burkert hat wieder einmal mit seinem ambitionierten Orchester ganze Arbeit geleistet, bringt die funkelnde Partitur gottlob unbearbeitet und unverstärkt bestens zur Geltung und atmet perfekt mit der Bühne. Auch der von Matthias Schoberwalter blendend studierte Chor bleibt von der Klangsterilisation verschont. Noch dazu ist zwischen dem Chor, der Ballettgruppe und sogar den Protagonisten kaum ein Unterschied zu bemerken, was Beweglichkeit und eine wahre Tanzwut betrifft. Wobei Choreograph Lukas Ruzicka oft zu viel des Guten will und die eigentliche Handlung allzu sehr in den Hintergrund der Bühne rückt.
Regisseurin Angela Schweiger erzählt mit einigem Spielwitz und in farbenfroher Ausstattung von Markus Olzinger und Sven Bindseil die Geschichte tatsächlich in ihrer Zeit, also während eines polnischen Aufstands gegen das Regime Augusts des Starken von Sachsen im Jahr 1704. Dazu gibt es eine Rahmenhandlung, die historisch sinnvoll ist. Der Rockmusiker Symon, der Dissident Jan und beider Rockerfreundinnen agieren darin sehr schlüssig als gegen das KP-Regime rebellierende Studierende in Krakau anno 1989. Symon bekommt eine Aufnahme der „Nationaloperette“ zugesteckt. 1882 war sie ja in Wien problemlos durch die Zensur gegangen; wohl weil es darin gegen die arroganten Sachsen und nicht gegen die damals Südpolen maßvoll regierenden Österreicher geht.
Symon versinkt in einen Traum, in dem er die Handlung des Stücks erlebt und in der Komtess Laura seine Freundin als große Liebe wiederfindet, ebenso wie Jan seine Bronislawa. Zwischendurch erwacht er mitunter und wundert sich. Die originale Musik wird dadurch nicht gestört, da Symon nur einmal a cappella eine Rocknummer von sich gibt und die zweite Strophe seines Schlagers „Ich knüpfte manche zarte Bande“ englisch singt – soll sein, immerhin schwärmt er darin ohnehin von den schönen Frauen aller Lande und der „Polin Reiz“ bleibt auch in der Übersetzung „unerreicht“. Billige MeToo-Anspielungen bleiben dem Publikum zum Glück erspart, stattdessen gehen die Liebenden einander handfest an die Wäsche. Am Ende geht es mit viel Krach etwas drunter und drüber, da ins Finale Satzcollagen eingelegt werden und gar noch die Berliner Mauer fällt, während die Soldateska stellvertretend für das Regiment von 1704 und die Volksarmee von 1989 die Flucht ergreift, Polen befreit wird und die Paare sich glücklich vereinen.
Die sängerischen Leistungen entziehen sich wegen der akustischen Verunstaltung teilweise einer seriösen Wertung, die darstellerischen sind prachtvoll. Oberst Ollendorf wird von Martin Achrainer als relativ junger, schlanker und etwas dümmlicher Lebemann gezeichnet. Er darf sich von seiner Niederlage gegen die ach nur auf die Schulter geküsste Laura anfangs in einem putzigen Barock-Freudenhaus erholen. Sein an sich feiner Kavaliersbariton klingt mitunter recht flackernd, mit dem Couplet „Schwamm drüber“ samt mäßig witzigen aktuellen Strophen erntet er kurzen Jubel. Ihn umgeben figürlich gut gezeichnete, stimmlich nicht besonders zusammen passende Offiziers-Karikaturen (Philip Guirola Paganini, Ivo Kogrivar, Markus Raab mit Stentorbass und Ana Maric).
Als Laura lässt die couragierte Corina Koller die berechtigte Vermutung zu, dass sie über einen sehr schönen lyrischen Sopran mit leuchtender Höhe verfügt. Loes Cools, ihre Bühnen-Schwester Bronislawa, erfreut mit Temperament, erahnbar sensiblem Timbre und gutem Stimmsitz. Als Mutter Palmatica darf die köstlich agierende und pointiert akzentuierende Miriam Portmann, die unvergessliche Primadonna früherer Ischler Zeiten, ein treffsicher eingelegtes Couplet aus Millöckers „Gasparone“ („Es gibt keine Männer mehr...“) singen, zur Freude des Auditoriums. Der hervorragende Charaktertenor Paul Schweinester bemüht sich gekonnt und rechtschaffen um die auftrumpfende Lyrik des Symon und passt als Rocker ebenso gut wie als aufsässiger Bettelstudent. Christoph Gerhardus, seiner Vita nach Bariton, dem Hörerlebnis nach „Baritenor“ mit Höhendrang, hat als fescher Jan freilich die strahlenderen Töne anzubieten – soweit das zu beurteilen ist. Claudiu Sola (Gefangenenwärter Piffke) und der souverän einspringende Choreograph (Kollege Puffke und Wirt Bogumil) bieten drastischen Witz.
Trotz der akustischen Malaise ist die Produktion besuchens – und diskutierenswert.