Käfig voller Narren – nix dagegen
THEATER AN DER WIEN / KUBLAI KHAN
09/04/24 Wien. 1787. Hofoper. Cublai, gran Kan de’ Tartari von Antonio Salieri steht vor der Premiere, als ein unerwartetes Bündnis mit Russland die Zensur auf den Plan ruft: Der neue Verbündete gegen die Osmanen darf nicht vergrämt werden. 235 Jahre später versucht man es wieder mit der Uraufführung. Da marschieren die Russen in der Ukraine ein. Salieri ist verzweifelt.
Von Heidemarie Klabacher
24. Februar 2022. Hauptversammlung der Kublai Khan Süßwaren AG. Firmenpatriarch Schorsch Kublai, ein Verwandter des Dschingis Khan, will das hundertjährige Bestehen der Firma mit einer „Familienoper“ feiern: Zur Aufführung kommen soll die bisher nie gespielte Oper Cublai, gran Kan de’ Tartari von Antonio Salieri. Der Hofcompositeur wuselt quicklebendig herum, freut sich der neuen Chance und des neuen Saeclums, wundert sich über Errungeschaften wie Übertitel und erklärt den Sängerinnen und Sängern – „Ich habe sie schließlich erfunden“ – ihre Rollen.
Das originale Libretto von Antonio Salieris Cublai von Giovanni Battista Casti ist eine böse Satire auf die ungehobelten Zustände am Zarenhof Katharinas der Großen. Genau deswegen wurde deren Aufführung 1787 von Kaiser Joseph II. abgewürgt: Russland war plötzlich Bündnispartner gegen die Türken und durfte nicht vergrämt werden.
Das Theater an der Wien spielt die Uraufführung der italienischen Originalfassung in einer turbulenten Spielfassung von Martin G. Berger und Philipp Amelungsen. Es ist die letzte Premiere in der Halle E, der Ausweichspielstätte im MuseumsQuartier während der Generalsanierung. Ab Herbst wird wieder das Theater an der Wien bespielt. Mit der Uraufführung des Cublai landete Intendant Stefan Herheim einen Clou zwischen absoluter Rarität und publikumswirksamen Ulk.
Martin G. Berger inszeniert auf der Bühne von Sarah-Katharina Karl – goldener fernöstlicher Palast und zeitgenössisches Büro im ständigen Wandel – ein kunterbuntes Spektakel, dem die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter einen zusätzlichen revueartigen Touch verleihen. Käfig voller Narren – nix dagegen.
Die Festesfreude in der Chefetage der Kublai Khan Süßwaren AG ist getrübt. Um Bilanzen und Image steht es schlecht. Die „Kublai-Kugel“ ist nicht mehr gefragt: Das Logo rassistisch. Die Ingredienzien weder bio noch klimaneutral. Fair trade ein Fremdwort. Den roten Zahlen soll eine Fusion mit dem chinesischen Alzima-Konzern, dem schlechten Image das Know How der italienischen Werbeagentur Memma und Bozzone abhelfen.
Wer oder was gegen die Unfähigkeit des Firmenerben Lipi helfen könnte, weiß niemand: Patriarch Schorsch Kublai hat, sich seiner eigenen Ungebildetheit klug bewusst, die Erziehung des Sohnes in die Hände seines engsten Mitarbeiters Posega gelegt. Doch Lehrer und Zögling sind sich auf ganz anderen Ebene als der, der Bücher nahe gekommen. Bleibt als Hoffnungsträger Neffe Timur, Head of Product Development, der sich auf den ersten Blick in Alzima, die russische Verhandlerin des chinesischen Konzerns, verliebt hat. Letztere ist ebenso verliebt in Timur, will dies aber aus empanzipatorischen Gründen lange nicht zugeben.
Christophe Rousset am Pult von Les Talens Lyriques entfaltet Antonio Salieris Musik mit sanfter Hand, ganz ohne klangrednerische Bockigkeiten, welche in der Partitur aber auch kaum aufzustöbern wären. Beinah zu subtil – besonders im Kontrast zur deftig bunten Action – ist der Streicherklang. Einige wunderschöne Holzbläsersoli, in jedem Konzertsaal ein Genuss, kommen kaum zur Wirkung, verlieren sich in der Halle.
Von der Qualität der Musik Antonio Salieris hat in Salzburg etwa erst die jüngste Mozartwoche gezeugt. Der Opernkomponist war ein Routinier. Seine Figuren sind musikalisch griffig. Keine Arie ist zu lang. Musik und Handlung treiben einander vorwärts. Carlo Lepore poltert als ruppiger, dabei erstaundlich lernfähiger Kublai mit kultiviertem Bass im Zentrum der kruden Handlung. Die Sopranistin Lauranne Oliva brilliert delikat trällernd in der Hosenrolle des Lipi. Der Tenor Alasdair Kent betört als Timur, auch in den vielen exponierten hohen Passagen, mit samtweich tibrierter Stimme. Die Sopranistin Marie Lys gestaltet die Partie der Alzima mit großer Wendigkeit in den Koloarturen bei gerade nicht zu viel Schärfe in der Stimme. Charmant die italienischen Intriganten/Werbefachleute: Giorgio Caoduro ist als Bozzone stimmlich wie darstellerisch ein zweites Zentrum, liebenswürdig Ana Quintans als Memma. Als Posega, Hofmeister und Gespiele Lipis, überzeugt Leon Košavić. Als Orcano, Zucht- und Zeremonienmeister, dem der Zeitgeist über den Kopf Wächst, verzweifelt Fabio Capitanucci. Zwischen allen Zeit-Handlungs-und Spielebenen wuselt liebenswürdig altmodisch Christoph Wagner-Trenkwitz als Salieri. Ein – im Wortsinn – vergnüglich bunter Abend.
Kublai Khan – weitere Aufführungen des Theaters an der Wien in der Halle E im MuseumsQuartier bis 15. April – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Herwig Prammer