Harry & Meghan go Hollywood
OPER GRAZ / OPERETTE / STOLZ / KALMAN
22/03/24 Crown Prince Rudolph of Habsburg und Baroness Mary Vetsera werden vom Alten Kaiser in die USA verjagt, auf dass sie dort möglichst anonym glücklich werden. Fürstin Jadja Palotay verteidigt das ungarische Schloss ihres verewigten Gemahls mit Klauen und Zähnen gegen den rechtmäßigen Erben, der unsterblich in sie verliebt ist. Ohne Ungarn, Paprika und Kaiser geht nichts in der Operette.
Von Heidemarie Klabacher
Operette „als solche“ fristet außerhalb ihr gewidmeter Events, wie etwa in Bad Ischl, ein Schattendasein. Anläufe da und dort, über die Fledermaus hinaus, steigern meist auch nicht nie Sehnsucht nach mehr. Anspruchsvollste Gesangspartien zu singen im Gestus leichtester Muse, Orchesterparts die, spätestens in der Spätzeit der Operette, zwischen Romantik und Jazz quasi im Sekundentakt wechseln, Monarchie-Flair halbwegs sinnvoll zu transformieren – das muss erst mal klappen.
An der Oper Graz klappt es dieser Tage auf's Ansprechendste. Innerhalb weniger Tage gab es zwei Operetten-Premieren: Die opulente farbenprächtig inszenierte Venus in Seide des Local-Hero Robert Stolz (dem 1880 in Graz geborenen, nach eigenem Bekunden „schlechtesten Schüler der Steiermark“, der fünf Ehefrauen hatte, von den Nazis umworben wurde, sich nicht einfangen ließ, in die Emigration ging, als Filmkomponist und Produzent reüssierte und 1975 in einem Plattenstudio in Berlin mit 95 starb) – seine Venus in Seide feierte in der Oper Graz einen Triumph unter der musikalischen Leitung von Marius Burkert auf der Bühne von Martina Segna in der Regie von Dirk Schmeding.
Wenige Tage später folgte in einer konzertanten Produktion die Österreichische Erstaufführung von Marinka. A romantic musical von Emmerich Kálmán aus 1945 (!) unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots in der Dramaturgie von Katharina Rückl.
Schnittstelle zwischen den beiden Produktionen ist der jeweilige männliche Hauptdarsteller, Matthias Koziorowski, der einmal mehr mit seinem in allen Lagen und Lautstärken – besonders im piano – samtweichen Tenor zu betören wusste. Zunächst in der szenischen Stolz-Produktion als Fürst Stephan Teleky, dem als Räuberhauptmann verkleideten Schlosserben, der auf (selbst für dieses Genre schier undurchdringlichen) Handlungspfaden das Herz der bockigen Fürstin zu erobern weiß. Als Fürstin Jadja Milewska-Palotay begeistert – wie in jeder ihrer Partien – Sieglinde Feldhofer. Die Rolle des so emotionsgeladenen wie geschäftstüchtigen Temperatmentbündels schien ihr vom Komponisten quasi persönlich angemessen worden zu sein.
Sieglinde Feldhofer ist, wiewohl die Titelfigur, vor allem mit ihrer stupenden stimmlichen Technik und ihrer wandlungsfährigen darstellerischen Präszenz das Herzstück der Produktion. Frank Lichtenbergs unzählige Kostüme zwischen weißem Frack, opulenter Robe und Motorradkluft der Rockerbraut trägt Sieglinde Feldhofer als Grande Dame, Liebende oder Tobende – und doch am Ende die Klügere. Grandios.
Matthias Koziorowski in der Rolle des Stephan Teleky gibt sich, obgleich er anonym zu bleiben begehrt, als jener Räuberhauptmann aus, der die Schlösser rundum plündert. Die Handlung wird nicht durchschaubarer, wenn der Schauspieler, Musiker und Theater-Regisseur Sandy Lopičić in der Rolle des echten Räubers Rosza Sandor im Schloss auftaucht.
Die beiden Herren, in wunderbaren Jack Sparrow-Kostümen von Frank Lichtenberg als Brüder im Geiste, beginnen, die Dinge geradezurücken. Ivan Oreščanin als Dragonerleutnant Köröshazy, der den Räuber fangen soll, und Ildikó Raimondi als Komtesse Mizzi sind das zweite Paar, das stimmlich und darstellerisch perfekte Rollenporträts präsentiert und viele Steine aus dem Weg zum Glück räumen muss.
Marius Burkert leitet in der Venus die Grazer Philharmoniker, wiewohl mit federnder Hand, am oberen Ende des Lautstärkenreglers. Polen, Italien, Ungarn, Österreich finden in der Musik von Robert Stolz ganz organisch und versöhnlich unter einen Hut. Das Libretto stammt von Alfred Grünwald und Ludwig Herzer. Die Politik hat da nicht mehr mitgehalten.
Sehnsucht nach Kakanien – und eine gehörige Portion Bosheit – prägen auch Emmerich Kálmáns Marinka. Es ist eine Art Monarchie-Persiflage. Der Alte Kaiser hat seinen Thronerben und dessen junge Freundin persönlich in die USA „verbannt“. Damit die G'schicht auch wirklich erledigt ist, wird die Selbstmordstory verbreitet.
Die englischen Gesangstexte sind von George Marion Jr., das Libertto stammt von diesem und Karl Farkas. Der Tenor Matthias Koziorowski betört auch als Crown Prince Rudolph of Habsburg. Die jugendliche Geliebte, Baroness Mary Vetsera, genannt Marinka, gibt mit viel Armeschwenken Ruth Brauer-Kvam. Anna Brull hat ein paar temperamentvolle Nummern als Countess Landowska – Highlights, wie alle ihre Auftritte (unvergessen La Muse/Nicklausse in Hoffmanns Erzählungen).
Peter Bording führt als Josef Bratfisch, Enkel des Leibkutschers von Erzherzog Rudolf, als Erzähler mit Grandezza durch den Abend, und singt mit ebensolcher schmeichlerischer Grandezza in der Stimme. Die Neu-Instrumentierung für die konzertante Fassung besorgte Ferdinand von Seebach. Die Grazer Philharmoniker, wiewohl in Konzertsituation auf der Bühne, kommen unter der geschmeidigen Leitung von Koen Schoots mit swingender Leichtigkeit über die Rampe. In beiden Operetten – in Kostüm und Maske wie als Konzertchor – überzeugt der Chor der Oper Graz einstudiert von Johannes Köhler. Schade, dass es von Marinka nur zwei Aufführungen gibt.
Venus in Seide – fünf weitere Aufführungen bis 16. Mai – oper-graz.buehnen-graz.com
Marinka – eine weitere Aufführung in der Oper Graz am 6. April – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch