Die Welt abstechen wie eine Sau
GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / SCHWABGASSE 94
15/01/24 Nur für Sekunden kommen sie einander nahe. Mariedl und Herrmann, zwei Figuren aus der Dramenwelt des Werner Schwab. Sie tauchen immer wieder auf in seinen Stücken, aber doch nie in demselben. Das tun sie erst jetzt im Schauspielhaus Graz, wo sie Regisseur David Bösch zusammenbringt an einer gemeinsamen Wohnadresse: Schwabgasse 94.
Von Reinhard Kriechbaum
Herrmann ist der verkrachte Poet aus Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos, das Alter Ego von Werner Schwab, der da eigene Jugenderfahrungen aufarbeitete. Mariedl kennen wir als jene Reinigungskraft aus den Präsidentinnen, die Gummihandschuhe mit Entschiedenheit ablehnt und mit bloßen Händen jeden WC-Abfluss wieder frei kriegt. Eine ungeöffnete Gulaschdose holt sie da heraus und eine Flasche Bier. Beides ist ihr sehr willkommen, sie gönnt sich ja sonst nichts als den Erwerb von Heiligenfiguren.
Taugen Mariedl (Annette Holzmann) und Herrmann Wurm (Mervan Ürkmez) für eine sich anbahnende Liebesgeschichte? Es reicht nur zur Frage nach Feuer, aus gehöriger Distanz. Ein einziges Mal kommt Herrmann näher, reißt ein Blatt von der Klopapierrolle und kritzelt ein Liebesgedicht drauf. Überreicht es ihr skrupulös. Deutet ihr, die zögert, sie möge das Blatt auseinanderfalten. Und sie winkt ihm dann, er solle näherkommen – eine Geste, die er nicht minder unbeholfen erwidert.
Das war's auch schon mit Herrmann und Mariedl und ihrer Sekunden-Intimität. Es ist ja drumherum sagenhaft viel los an der Adresse Schwabgasse 94. Patrick Bannwart hat auf der Drehbühne eine Halde aus abgewohntem Mobiliar errichtet. Unter der übergroßen Silhouette des Woityla-Papstes poltern und krakeelen Schwabs Protagonisten. Wortgewaltiges Einander-Malträtieren ist angesagt. Diese Leute schenken sich nichts. Gleich zu Beginn sind wir in der ärmlichen Küche von Frau Wurm (Olivia Grigolli) und ihrem Sohn Herrmann und damit mitten im Disput zwischen leidlicher Überlebens-Bewältigung der Mutter und der Künstler-Spintisiererei des Sohns. Unvereinbare Positionen, bis zum Exzess ausgelebte Bösartigkeit. „Wie kann man nur ein volles Leben vertrinken“, zetert die Mutter.
In der Nachbarwohnung geht es nicht viel nobler zu. Da kraftmeiert Herr Kovacic (Franz Solar), umgeben von Frau in Lockenwicklern und zwei Töchtern, die mit der Maniküre beschäftigt sind. Alle vier stecken in unsäglichen pinken Freizeitanzügen. Den Hamster hätte Herr Kovacic doch lieber nicht im Zorn totgetreten. „Das war kein familiärer Vorgang“, mahnt die Gattin und ordnet fast im gleichen Atemzug an: „Hol ihm ein Bier, unserem Möbelverdiener.“
Anfang der 1990er Jahre hat der Grazer Werner Schwab (1958-1994) in dichter Folge Dramen veröffentlicht und damit so recht Furore gemacht. Volksvernichtung und Präsidentinnen werden heute noch gern gespielt, auch Der reizende Reigen nach dem Reigen des Reizenden Herren Arthur Schnitzler. Für die Hommage nun im Grauer Schauspielhaus hat David Bösch ein Konglomerat aus Stücken zusammengestellt und mit Fragmenten aus Schwabs Arbeitsbüchern verbunden. Er faltet damit des Autors Sozial-Horizont weit auf.
All diese Figuren ergehen sich in gar wüsten Monologen. „Die Welt abstechen wie eine Sau“ sagt einer, aber das wollen fast alle hier. Und doch offenbaren sich in den oft exzesshaften Tiraden ganz reale Befindlichkeiten und vor allem Sehnsüchte. „Die Wirklichkeit schaut manchmal so aus wie der Herrmann Wurm“, heißt es einmal – und das ist kein Koompliment. Das „Schwabische“ führen diese Leute als Kunstsprache im Mund und wirken dabei schmerzlich-nahbar. All das Nicht-Eingelöste der jeweiligen Lebensumstände wird greifbar.
David Bösch arbeitete mit einem sehr disziplinierten Ensemble. Da weiß jeder Einzelne, wann des Outrierens genug ist. Auf größten Rumor folgt Leises, und das mutet dann an, als schaue man durch Gucklöcher in die verwundeten Seelen. Einige einnehmende, verinnerlichte Monologe hat Rudi Widerhofer in mehreren Rollen, etwa als Hundsmaulsepp aus dem weniger bekannten Stück Mein Hundemund.
Es bleiben in dieser dicht gebauten Szenenfolge Freiräume, die einen nachdenken lassen über die literarische Position von Werner Schwab. Der Einfluss Thomas Bernhard'scher Figuren mit ihren Suaden ist greifbar. Was von der Formulier-Drexlerei der Elfriede Jelinek motiviert scheint, ist damals wohl in der Luft gelegen. Was noch zu überprüfen wäre: der lokale Einfluss der Grazer Forum-Stadtpark-Autoren, der in den 1968ern hier tätigen Stückeschreiber im Umkreis von Wolfgang Bauer. Und in größerem Zusammenhang: Bei Schwab wirkt das Volksstück à la Ödön von Horváth stark nach: Herrmann und Mariedl könnten so enden wie einst Kasimir und Karoline.
Aufführungen bis 13. März im Schauspielhaus Graz – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Stella Kager