asdf
 

Gott ist tot. Marx und die Liebe auch

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / LEONCE UND LENA

22/11/23 „Sie sollen Direktor werden, das ist doch eine lustige Sache“, sagt Valerio zu Leonce, dem der alte Herrscher vom Imperium Popo die Agenden übertragen will. „Eine Arbeit, die alle Zeit verschlingt“, entrüstet sich Lena, der dasselbe dräut. Schicksal oder Karrieresprung?

Von Reinhard Kriechbaum

Die neue Grazer Schauspiel-Intendantin Andrea Vilter hat sich vorgenommen, zu hinterfragen, warum gewisse Stücke heute zum klassischen Kanon gehören. Sie will überprüfen, was diese uns noch immer oder wieder zu sagen haben – was eigentlich Aufgabe und Ziel einer jeden Arbeit im Theater sein sollte. Derzeit wird in diesem Versuchslabor Büchners Leonce und Lena, Prototyp einer poetischen Liebesgeschichte, atomisiert.

Zwei gelangweilte Königskinder, die partout nicht heiraten wollen, nach Italien fliehen, sich dort incognito über den Weg laufen und sich prompt unsterblich ineinander verlieben: Zu wenig für heutiges Theater? Die in Leipzig geborene, dreißigjährige Regisseurin Rebekka David macht aus den beiden Königreichen zu verschmelzende Firmenkonzerne. Aus Leonce und Lena werden junge Leute unserer Zeit, die sich partout nicht hineinfinden wollen in das scheinbar unabdingbare Vorwärts des Wirtschafts-Liberalismus. Das funktioniert freilich nicht auf Büchners Text, von dem nur Rudimente übrig geblieben sind. Im Prinzip hat Rebecca David ein neues Stück geschrieben auf Büchners Folie und ehrlicherweise auch den Stücktitel verändert. Es heißt jetzt Leonce und Lena – nowhere to run.

Nirgendwohin rennen oder ein Rennen ins Nirgendwohin also. Da kommt die Drehbühne gerade recht. „Stehen bleiben lautet die Lösung“, weiß Valerio, der Vertraute von Leonce. Aber derweil geht es unerbittlich rund. Die jungen Leute werden weitergetrieben, halten inne, müssen wieder aufholen. Müssen „Karriere machen, weil von nichts nichts kommt“. Peter vom Imperium Popo ist der Senior-Chef, der mitfährt auf der Drehbühne und mit in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit beobachtet, wie sich die Jungen quer stellen gegen ein System, das für ihn das Leben schlechthin bedeutete. „Vorwärts ist das Ziel und Tun das Mittel“, erklärt dieser Wirtschafts-König von der jämmerlichen Gestalt, dem Rudi Widerhofer eine entsprechend schwache Stimme gibt. Leonce und Lena hingegen: „Gott ist tot, Marx auch, die Liebe flatterhaft – woran soll man noch glauben?“

Nicht, dass die Jungen etwas anzufangen wüssten mit dem abgelegten Dauer-Streben nach Dauerwachstum. Wenn die Drehbühne endlich steht, geht die Verlegenheits-Betriebsamkeit erst recht los. Rebecca David lässt Leonce und Lena (Dominik Puhl und Otiti Engelhardt), die Gouvernante (Annette Holzmann) und vor allem Valerio (Mario Lopatta) ein Feuerwerk abschießen an zeitgeistigen Slogans und kapitalismuskritischen Argumenten. Die jungen Leute verheddern sich aber auch immer wieder in den eigenen unausgegorenen Ansichten. Da fehlt es nicht an Situationskomik.

Der Quadratur des Kreises gleicht es, Büchners Poesie hinüberzuretten in die Wirtschaftssprache unserer Zeit. Es gelingt erstaunlicher Weise immer wieder und zwar mit überraschend präzisem Sprachgefühl.

In den übertrieben verspielten pseudobarock-historistischen Kostümen (Anna Maria Schories) wird versucht, der vorherrschenden Schlagwort-Sachlichkeit gegenzusteuern und ansatzweise eine Leonce und Lena-Welt der Zeit Büchners zu beschwören.

Einmal landen die beiden auf einem Gemüsemarkt. Ausgerechnet König Peter ist der Standler. „Am Anfang war der Beutel, nicht der Speer“, brechen die Jungen auch in diesem Bereich neuem Denken Bahn. Aber Lena möchte dann doch „eine einzige Sekunde meines jungen Lebens nicht darüber brüten zu müssen, was wofür ausgetrocknet und abgeholzt“ wird.

Valerio, der à la Bartleby gerne sagt „Ich möchte lieber nicht“, argumentiert schließlich fürs Fusionieren. „Einmal tun, um dann vom Tun freigesprochen zu sein.“ Das lassen sich Leonce und Lena gerne gefallen und auch Alt-Chef Peter scheint einigermaßen zufriedengestellt. Aber dann kommt die Souffleuse Elisabeth Wondrack auf die Bühne und bietet sich an als ein lebendes Pandämonium prekärer Arbeitsverhältnisse... Das ist kein gutes Ende. Wirtschaftsliberalismus und Kapitalismus sind entschieden weniger tot als Gott, Marx und die Liebe.

Aufführungen bis 25. Jänner 2024 im Schauspielhaus Graz – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014