Der Aderlass geschah schleichend
HINTERGRUND / ORF / ORCHESTER UND CHÖRE
21/02/23 Es wird wohl niemanden geben in der Kulturszene, dem der Erhalt des RSO Wien nicht ein Anliegen wäre. Die Auflösung des Orchesters wäre ein Kahlschlag von noch nie dagewesener Tragweite. Entsprechend vehement sind jetzt die Reaktionen aus allen Richtungen.
Von Reinhard Kriechbaum
Was vorerst in kaum einer Stellungnahme vorkommt, sind Gedanken über das mögliche Wie eines Fortbestehens. Dass der ORF in der gegenwärtigen finanziellen Lage den Unterhalt eines hundertköpfigen Symphonieorchesters künftig nicht – zumindest nicht alleine – wird stemmen können, steht außer Frage. Man wird sich also ein neues Modell ausdenken müssen. Möglicherweise wird es auf eine multiple Trägerschaft hinauslaufen. Gerade wenn die Haushaltsabgabe kommt, also eine ORF-Gebühr (sprich Steuer) für letztlich alle, macht es wenig Unterschied, ob das RSO aus ORF-Mitteln oder aus Steuergeld gespeist wird. Und wenn beispielsweise das Theater an der Wien, dessen Opernorchester das RSO de facto ist, sich finanziell beteiligt, ist das auch wieder nur ein Umweg über die Kulturförderung aus Steuergeld. Wenn es stimmt, dass Geld kein Mascherl hat, sollte die Finanzierung aus Steuergeld letztlich egal sein, wiewohl die Moneten in verschiedenen Geldbörseln verstaut sind.
Im Übrigen: Was die Länder nebenher zu den derzeitigen GIS-Gebühren einstreifen, würde für Dutzende Symphonieorchester von Größe des RSO ausreichen. Allein ins Salzburger Landesbudget werden auf diesem Wege elf bis zwölf Millionen Euro gespült. Das RSO schlägt angeblich mit einer Million Euro pro Jahr zu Buche. Ein läppischer Betrag, wenn man ihn aufs Ganze der in sieben Bundesländer eingehobenen Landesabgaben rechnet.
Jedenfalls wird man mit Argusaugen darauf schauen müssen, dass das RSO dem Musikland Österreich erhalten bleibt, unter welchen künftigen Namen und in welcher Organisationsform auch immer. Es ist schließlich ein Ensemble mit sehr spezifischem Aufgabenfeld und entsprechend höchster Qualifikation.
In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es schon so manchen Aderlass gegeben hat im ORF bei „hauseigenen“ Ensembles. Erinnert sich eigentlich noch jemand an den ORF-Chor? Den baute ab 1956 Gottfried Preinfalk auf, zuerst unter dem Namen Wiener Rundfunkchor. Der ORF-Chor wurde 1995, also vor mehr als einem Vierteljahrhundert schon, aufgelöst. Sein letzter Leiter war der schon damals namhafte Erwin G. Ortner, unter dessen Ägide dann der Arnold Schoenberg Chor heranwuchs.
Erinnert sei auch daran, dass es nicht nur in Wien Orchester und Chöre in unmittelbarer Trägerschaft des ORF gegeben hat. In Salzburg beispielsweise gründete 1951 Ernst Hinreiner (1920-1999) den Salzburger Rundfunkchor. Ab 1952 hieß er Salzburger Rundfunk- und Mozarteumschor. Derartige Ensembles waren oft mit Musikern/Dirigenten verknüpft, die beim ORF als Leiter der Musikabteilungen in den jeweiligen Landesstudios fungierten. Ernst Hinreiner beispielsweise leitete von 1946 bis 1980 die Musikabteilung von Radio Salzburg.
In Graz war Karl Ernst Hoffmann ein solcher Multi-Funktionär als Ensembleleiter und ORF-Musikchef. Damals gab es am dortigen Landesstudio das ProArteOrchester und den ProArteChor. Hoffmann und der steirische Landesintendant Emil Breisach waren jene, die ab 1968 innerhalb des Festivals steirischer herbst dafür sorgten, dass mit dem musikprotokoll der damals in Österreich wichtigste und nachhaltigste Impuls für die zeitgenössische Musik gesetzt wurde.
In Klagenfurt war es Nikolaus Fheodoroff, dessen vielfältige Tätigkeiten Wikipedia mit „Komponist, Dirigent, Pianist und Tonmeister“ beschreibt. Er war von 1967 bis 1991 Leiter des ORF-Kammerorchesters. Gab's auch mal. Rundfunkchor von Studio Kärnten, Madrigalchor Klagenfurt – Fheodoroffs Ensembles hatten viele und einst klingende Namen nicht nur in der „Provinz“. Das Tiroler Pendant zu Hinreiner, Hoffmann, Fheodoroff war Othmar Costa. Er war als dortiger ORF-Musikchef Initiator der Konzertreihe „Musik im Studio" mit Neuer Musik, nicht nur von Tiroler Komponisten. Die Reihe gibt es übrigens nach wie vor.
All diese Leute in den Landesstudios sorgten auch dafür, dass der ORF regelmäßig Kompositionen in Auftrag gab und dass Uraufführungen sonder Zahl konserviert wurden. Sie hatten das jeweilige Umfeld gut im Blick und sie hatten neigungsbedingt ein Ur-Interesse an der Neuen Musik und den sie pflegenden Initiativen. Es wurde viel mitgeschnitten, oft quasi auf „kurzen Wegen“.
Möglich war das, weil der ORF als (schon damals gescholtener) Medien-Monopolist nicht nur Herr über das Geschehen im Äther war, sondern auch – verglichen mit der Situation heute – über ausreichend Geld verfügte. An den Schalthebeln vor Ort saßen Leute, die als Dirigenten und Komponisten auch viel Eigeninteresse einbrachten. Manche ihrer Unternehmungen würde sich wahrscheinlich mit heutigen Compliance-Regeln nicht mehr so gut vertragen. Aber fürs Fortkommen der Musik, vor allem der zeitgenössischen, war ihr Einsatz schier unschätzbar. Der Aderlass geschah schleichend.