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Geister aus dem Sumpfland der Unterbühne

GRAZ / HOSPITAL DER GEISTER

23/01/23 Jan-Christoph Gockel liebt nach eigener Aussage Lars van Triers ursprüngliche Fernsehserie Das Reich, die im Zusammenschnitt als Hospital der Geister rasch zu Filmruhm gekommen ist. In Graz nun sein Versuch: Taugt's auch für die Bühne?

Von Reinhard Kriechbaum

Assistenzarzt Krogen verlässt das Krankenhaus erst gar nicht mehr. Er hat im Keller, sprich in der Unterbühne im Schauspielhaus Graz Logis genommen. In einem Regal hat er einen Miniaturfriedhof eingerichtet aus Blumentöpfen und Grabkerzen – die Kunstfehler, von denen ja doch ein jeder seiner Kollegen mal einen begangen hat. Daneben verdampft Krogen, der Beschaffungs- und Umverteilungs-Spezialist von dänisch-aerarischem Krankenhaus-Material, Tinkturen. Ein schönes Häufchen Stoff hat er so schon angehäuft.

Krogen ist nur eine Nebenfigur in Lars von Triers legendärer Rocky Horror Picture Show im morastigen Klinik-Umfeld aus den 1990er Jahren, die der Däne erst jüngst wieder belebt, also um eine dritte Staffel bereichert hat. Sie wurde im September des Vorjahres in Venedig aus der Taufe gehoben. Aus den ersten beiden Mini-TV-Serien sind damals ganz rasch Filme geworden, Kultfilme. Die Zusammenschnitte und Synchronfassungen gäben jetzt schon reichlich Material für Quellenforscher her. Nur: Auf der Bühne ist das „Hospital der Geister“ noch nie gelandet.

Zumindest für den deutschsprachigen Raum betritt Jan-Christoph Gockel damit nun also Neuland, und man ahnt schon: Dem Publikum im Grazer Schauspielhaus wird Sitzfleisch abverlangt, so wie einst jenem auf der Fernsehcouch oder im Kino. Vier Stunden lang gilt es zuzusehen dem Treiben des Klinikpersonals aus Kopenhagens Vorzeige-Reichskrankenhaus („Das Reich“ war Lars van Triers Originaltitel), den unversehens auftauchenden Geistern der Vergangenheit, die zu solchen der Gegenwart mutieren, und den Umtrieben einiger Patienten, die ihrerseits Ärzte und Geister vor sich hertreiben.

Da braucht's also schon einen langen Atem, dies- und jenseits der Bühne. Julia Kurzweg hat sie ausgeräumt und obendrein erweitert in den Untergrund, in einer Szene sogar ins Theaterbuffet. Dorthin überall folgt die Life-Kamera den Schauspielern. Eine kleine Box aus Glasziegeln, ein paar Liftschächte führen in den Unterboden. Im zweiten Teil nicht mal das. Da sind Requisiten gar nicht mehr nötig, Menschen und Geister (hier: Puppen) sind auf sich selbst zurückgeworfen. Sogar die Handkamera bleibt zuletzt außen vor.

Ist es eine Herausforderung des Schicksals, Lars von Trier zu paraphrasieren, das filmische Story-Konglomerat auf einer Bühne zu konkretisieren? Ja und nein. Jan-Christoph Gockel bleibt nah dran am filmischen Original. Das berühmte Dogma-Manifest haben die Filmemacher Lars van Trier und Thomas Vinterberg 1995 veröffentlicht, es liegt also zeitlich genau zwischen den ersten beiden Teilen des „Hospitals der Geister“. Da drängt sich die dort vorgeschriebene Handkamera-Technik auch für die Bühne auf, und Jan-Christoph Gockel setzt dabei auf archaisches Gerät aus den 1990er Jahren. Das schafft Retro-Flair. Der Regisseur erzählt den Film, erlaubt sich nur dosiert Freiheiten. Er schärft ein wenig nach, indem er beispielsweise auf Inklusion setzt: Zwei Behinderte holt er auf die Bühne, die blinde und gehörlose Tanja Hameter als „Patientin und Medium“ und Florian Finsterbusch (einen jungen Mann mit Down-Syndrom), für verschiedene Rollen. So mutiert der Klinik-Hausmeister unter anderem zum Gesundheitsminister, sogar zum Gevatter Tod. Eine Botschaft: Heutzutage dürfen (und sollen) aus normalerweise „Behandelten“ auch „Handelnde“ werden.

Das ist wohl ganz im Sinne des Lars van Trier. So rätselhaft die Verschränkung von Krankenhaus-Soap-Opera und Gruselgeschichte im „Hospital der Geister“ daherkommt: Die Geister, die da umgehen, sind ja unzweifelhaft auch die Selbstzweifel der Ärzte am eigenen Handlungsvermögen. Gesundheitswissenschaft, medizinischer High-Tech und Empathie gehen bekanntermaßen nicht immer gut zusammen, und an den Reibungs- und Wundstellen finden unwillkommene Geister offene Türen. Nach drei Jahren Pandemie-Bekämpfung bei zunehmender Antiwissenschafts-Schwurblerei darf Lars von Trier sich ja fein bestätigt fühlen mit seinem „Hospital der Geister“-Oldie. In diese Richtung schärft der Regisseur in Graz im Detail immer wieder nach.

So durchgehend handverlesen wie im Film kann eine Besetzung mit einem ziemlich komplett geforderten Theaterensemble kaum wirken, aber als Ganzes schlägt sich die Grazer Bühnencrew beachtlich. Es ist ja ganz schwer in Haupt- und Nebenrollen zu gliedern, mit Akkuratesse und Aufmerksamkeit wurden Charaktere durchgeformt. Dem im Einzelnen zu folgen, hat man über die vier Stunden ausreichend zu tun, ohne dass sich nennenswerte Ermüdung, Niedergeschlagenheit gar einstellte. Respekt vor dem Ganzen also.

Den Vogel schießt immer wieder Beatrice Frey ab, die als dominante Mutter, notorische Hypochonderin und selbsternannte Geister-Aufdeckerin in der Rolle der Sigrid Trusse die Lacher und Sympathien stets auf ihrer Seite hat. Auf der anderen Seite: Franz Solar als Stig Helmer, der Dänen-Hasser als Oberarzt in dänischen Super-Klinikum. Nicht unbedingt ein Sympathieträger, aber gewiss bemitleidenswert in seiner Selbst-Gefangenheit. Florian Köhler als Neurochiurg Krogen (jener im Keller) macht die Medizin menschlich, so wie Lisa Birka Balzer, die junge Assistenzärztin Judith, die schließlich das Monster „Brüderchen“ gebiert. In den Szenen vor allem mit den beiden Letztgenannten wird all die Un-Geisterei entlarvt, da bekommt „Das Reich“ sehr humane Züge.

Und der Urvater des Bösen, Åge Krüger, Klinikchef vor hundert Jahren, der dort seine uneheliche Tochter ins Jenseits befördert hat? Das ist der Schauspieler, Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch. Gut gemacht ist das – aber freilich, da kommt das Theater mit dem Film nicht mit. Trotz aller Meriten dieser Produktion, trotz der behutsam runderneuerten Sicht auf die doppelbödige Story des Lars van Trier geht man nach den vier Stunden nicht mit der Überzeugung aus dem Haus, dem „Hospital der Geister“ gehöre nun auch der Bühne. Der Grusel zumindest funktioniert im Film alleweil besser.

Aufführungen bis 10. März – schauspielhaus-graz
Bilder: Schauspielhaus Graz / Karelly_Lamprecht

 

 

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