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Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund

OPER GRAZ / BRITTEN / WAR REQUIEM

30/09/22 Spätestens am Hauptplatz zündet der Funke. Die Bombe wird in der Oper einschlagen! Hier, wo wir alle sitzen, ein szenisch überfrachtetes War Requiem erleben und schon gut neunzig Minuten lang eine ferngesteuerte Bombe auf der Videowall beobachten.

Von Heidemarie Klabacher

Natürlich sind on screen zwischendurch auch fressende, verzweifelte, gestörte, besoffene – zur Karrikatur verkommene – Menschen in Uniform oder Abendkleid zu sehen. Nahaufnahmen unzähliger Episoden auf einer Art Staatsbegräbnis. Schöne Leich, Kondolenzbuch und Gratisbuffett inbegriffen. Für diese Pomp-Funèbrerei wurde von Sebastian Hannak die gesamte Grazer Oper, wie zur Opernredoute, in einen einzigen Festsaal verwandelt.

Der Graben ist überbaut, das Orchester sitzt ganz hinten, wo ein Tor auf die Straße hinausführt. Genau dort würde die imaginäre Bombe einschlagen. Das Kammerensemble, das im War Requiem von Benjamin Britten die Parts der Solisten begleitet, sitzt als eine Art Salonorchester dem Buffett gegenüber im vorderen Bühnenraum. Dazwischen gibt es auf beiden Längsseiten Podiumssitze, die in der besuchten zweiten Aufführung (29.9.) großteils leer geblieben sind.

Die „Toten-Tanz-Fläche“ dazwischen füllt der Chor. Es ist eine post-apokalyptische Seitenblicke-Gesellschaft mit Ordensträgern, hoher Geistlichkeit, Militärs, Burschenschaftlern, adeligen oder sonstigen Damen. In den gekonnt geschmacklosen Kostümen von Annette Braun müssen sie durcheinander smaltalken, fressen, saufen, kotzen und sterben, gebären, stillen. Bewundernswert, dass die Damen und Herren von Chor & Extrachor der Oper Graz, einstudiert von Bernhard Schneider, angesichts der vielfältigen und permanenten „Spielverpflichtung“ überhaupt zum Singen kommen. Noch dazu so homogen und, angesichts dieser Umstände, bewundernswert textdeutlich und wendig. Es ist ja stilistisch alles drin, vom Choral-Anklang bist zum Opernchor. Auch die Kinder der Singschul' der Oper Graz (einstudiert von Andrea Fournier, der neuen Domkapellmeisterin zu Salzburg) müssen mit-spielen, -tanzen und -sterben.

Benjamin Britten schrieb sein War Requiem als Auftragswerk für die Weihe der im Zweiten Weltkrieg von den Nazis zerbomten und nach Kriegsende wieder aufgebauten Kathedrale von Coventry. Das Werk basiert auf Texten des lateinschen Requiems (die Parts von Chor und Orchester), die Britten mit Gedichten von Wilfred Owen verband. Dieser ist mit 23 Jahren wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs in Frankreich gefallen. Seine Gedichte gehören zum Bewegendsten, in ihrer sprachlichen „Schönheit“ Erschreckendsten im Bereich der Anti-Kriegs-Literatur. Es sprechen zwei körperlich versehrte, seelisch schwerst angeschlagene Weltkriegs-Überlebende (die Parts der drei Vokalsolisten und des Kammerorchesters).

Die Dirigenten Roland Kluttig und Johannes Braun leiten die Grazer Philharmoniker und deren Kammerorchester. Große Geste, voluminöser, doch immer transparenter Sound von hinten. Unruhevolle „moderne“ Zerrissenheit von vorne. Es sind Musik gewordene Kriegsgräuel, die die souveräne musikalische Doppel-Leitung Kluttig/Braun zu traumverloren hoffnungsvollen Passen sich runden lässt. Tenor Matthias Koziorowski und Bariton Markus Butter vertreten überlebende, ehemals feindliche Soldaten, sie begegnen einander, erkennen einander: „Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund.“ Betörend der geschmeidig über die exponierte Partie geführte Tenor von Matthias Koziorowski. Die Sopranistin Flurina Stucki, stimmlich präsent aber wenig geschmeidig, tritt als eine Art Opern-Diva mit Alkoholproblem und Maschinengewehr auf.

Wurde schon erwähnt, dass es Videoprojektionen auch gibt? Ja, doch, ganz oben. Ein Bildschirm gehört immer wieder der ferngesteuerten Bombe. Seltsamerweise bewirkt gerade dieser Teil der Videoprojektion von Christian Weißenberger gegen Ende der Produktion ein beinah echtes Gefühl des Unbehagens, der Bedrohung. Muss mit der Weltpolitik zu tun haben. Und sie ist, zunächst, leise, die Videobombe. Im übrigen lenkt der Jahrmarktsrummel, von der Musik ab, das ständige Gerenne und Getrample stört wirklich.

„Eine szenische Aufführung des Stoffes soll und kann eine Darbietung im Konzert nicht ersetzen, sondern stellt vielmehr eine Alternative dar, welche die dem Werk eigene, unmittellbar aufwühlende emotionale Gewalt und Theatralik zuzuspitzen vermag.“ Das sagt Regisseur Lorenzo Fioroni, der hiemit auch erwähnt ist, im Programmheft. Er hat wirklich viel Theatralik und Gewalt und viel Kunterbunt auf die Bühne gebracht. Die Musik Brittens allein, wertschätzend konzertant aufgeführt, wäre die bessere Alternative.

War Requiem – Aufführungen in der Oper Graz bis 20. November – wer die Aufführung ein zweites Mal von einem anderen Platz aus sehen will, bezahlt beim zweiten Besuch den hlaben Kartenpreis – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch

 

 

 

 

 

 

 

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