Ihre Grenzen gehen kaum auf den Spiegel drauf
SCHAUSPIEL GRAZ / JELINEK
05/10/21 „Von wenig Dingen verstehe ich so viel, wie von Kleidern“, soll die Jelinek einmal gesagt haben. Eine ganze Menge versteht sie jedenfalls von Psychologie: Das Schauspiel Graz zeigt Jelinkes Mode-Stück Das Licht im Kasten in einer so stylischen wie entlarvenden Produktion.
Von Heidemarie Klabacher
„Jetzt könnte man gut Schluss machen“, heißt es heimtückisch gut eine halbe Stunde vor Schluss. Sogar vor einer Stunde hätte man aufhören können. Die Botschaft war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich angekommen.
Dennoch wäre es schade gewesen um jede Textschleife. Die Aufführung von Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!) im Schauspiel Graz in der Regie von Franz-Xaver Mayr in der Ausstattung von Korbinian Schmidt hätte ihr Publikum auch noch länger bei der Stange gehalten. „So. In Ihrer Größe gibt es das nicht mehr, dafür wird es in Ihrer Größe nächste Woche etwas total anderes geben, oder es wird Ihre Größe nicht mehr geben, weil sie nicht bestehen konnte, Ihre Gewichtlosigkeit ging verloren, und Größe hatten Sie nie, das wissen Sie.“ – Ja eh.
Dass Anziehsachen an einem selbst nie so aussehen (können), wie an den berühmten dünnen Frauen auf den Plakaten, und dass daher die normalen Frauen in der nächsten Kauf-Entscheidung, die nie eine eigene sondern eine oktroyierte ist, Erlösung suchen müssen: Das wäre eine recht simple Botschaft und ist auch nur einer der roten Fäden in der Textur des 2017 uraufgeführten Textes.
Immer wieder kreisen die Gedanken des Ensembles um die Abseiten der Modeindustrie, die Ausbeutung der Natur, die Ausbeutung der Näherinnen in nicht so „entwickelten“ Ländern, die für Hungerlöhne in einsturzgefährdeten Fabriken schuften und für unsere Billigfetzen Gesundheit und Leben riskieren. Alle wissen das. Niemand ist gefeit davor, das berühmte gleiche T-Shirt – vielleicht in einer anderen Farbe – wieder zu kaufen, weil wir vergessen haben, dass wir es ohnehin im Kasten liegen oder nach 1,4 mal tragen längst weggeschmissen haben.
Die Konsumentinnen (Männer scheinen in dieser Sache einen Hauch klüger zu sein) werden gnadenlos vorgeführt und herzhaft beleidigt: „Mit jedem X, das zu Large dazukommt, streichen Sie sich aus, wieder und wieder, und Sie stoßen an Ihre Grenzen, nicht so bald allerdings, denn Ihre Grenzen sind weit gesteckt, Sie können sie kaum sehen, Ihre Grenzen gehen kaum auf den Spiegel drauf...“ Tatsächlich hätte Regisseur Franz-Xaver Mayr die unendlich in sich kreisenden Textschleifen da und dort kappen, die Sache kürzen können. Die Jelinek stellt ihre Textflächen ja auch genau dafür zur Verfügung.
Wäre aber schade gewesen um jede Wiederholung. Denn die Balance innerhalb der Produktion bleibt brillant gewahrt: zwischen elegantem Slapstik und antikischem Gehabe, zwischen Tempo und Ruhe, zwischen zwischen konkreten – wirtschaftlichen oder psychologischen – Aspekten und den philosophischen oder gesellschaftstheoretischen Hintergründen. „Wer erklärt jetzt Kant? Ich sicher nicht“, heißt es einmal.
Viel Witz ist im Text, viel Witz kommt über die Rampe. Anspielungen auf die griechische Mythologie gibt’s ebenso, wie auf untergehendes Handwerk. Die Jelinek schafft das mit der Webkunst in einem Satz: „Selbst Arachne müsste sich das zeigen lassen...“ Natürlich kann niemand auf der Bühne kann die herumstehende Nähmaschine, so ziemlich das einzige Requisit, bedienen.
Gesprochen wird von allen Ensemblemitgliedern virtuos, textverständlich auch im rasanten Sprechtempo oder im Dauerlauf (viel Kondition zeigen da Lukas Walcher und Raphael Muff). Jedenfalls dient die Performance immer dem Wortkunstwerk. Den Text unter sich verteilen Johanna Sophia Baader (die Dicke), Oliver Chomik (der nackte), Beatrix Doderer, Sarah Sophia Meyer, Florian Köhler (der Gott), Raphael Muff (in Bewegung, Clemens Maria Riegler, Evamaria Salcher, Lukas Walcher (in Bewegung) und Henriette Blumenau.
Ausstatter Korbinian Schmidt schafft mit zunächst schwarzem dann weißem Bühnenhintergrund eine ideale Projektionsfläche für die abstrakten Videos von Conny Zenk und für die geradezu ikonografischen Kostüme zwischen Reifrock, Klimt- und Marmor-Look. Da KANN jedenfalls wer nähen. Auch mit wie wenig Mode „Mann“ sich schicklich bedecken kann, wird gezeigt. Abstrahierende Anspielungen auf nicht nur heimisches Brauchtum, zwischen Tafelpercht, neonbunten Derwischen oder Schnabelpercht mit und ohne Schere, erweitern den Modehorizont ins „Archaische“. Dass „Brauchtum“ ja erst recht immer eine Spiegelung jeweils konkreten Lebens ist, gibt der Interpretationsschleife weiteren Twist. Spannend. Brillant.