Großes jüdisches Welttheater?
WIEN / JÜDISCHES MUSEUM
13/07/21 Die Salzburger Festspiele und jüdische Künstlerinnen und Künstler – das ist ein Thema, das ja grundsätzlich gut durchdekliniert ist, vor allem was die Gründungsjahre und die Zeit unmittelbar vor und bei Machtübernahme der Nationalsozialisten anlangt. Die Schau „Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ im Jüdischen Museum Wien nimmt auch die anderen Zeiträume des Festspiel-Centennariums in den Blick.
Als da eine kleine, unbedeutende Stadt plötzlich zur Bühne, zum sommerlichen Kunst-Epizentrum wurde, übte sie logischerweise höchste Anziehungskraft auf. Jüdische Künstlerinnen und Künstler waren entscheidend an der umsetzung der Salzburg-Visionen von Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal beteiligt. Salzburg wurde zum Inbegriff für innovatives Theater auf Freiluftbühnen, Musik in absoluter Perfektion und Tanz als Ausdruck der Avantgarde.
Die erste Phase der Salzburger Festspiele von 1920 bis 1925 prägte Hofmannsthal mit seinen im katholischer Erlösungsgedanken geschrieben Stücken Jedermann und Das Salzburger große Welttheater. Letzteres inszenierte Reinhardt 1922 in der Kollegienkirche, was einen Skandal auslöste, da ihm Entweihung des Sakralraums vorgeworfen wurde. Während Karl Vollmoellers szenische Pantomime Mirakel in Reinhardts Inszenierung in London und New York riesige Hallen bis zum letzten Platz füllte, fiel die Salzburger Adaptierung eher bescheiden aus.
Ihre Blütezeit erlebten die Festspiele von 1926 bis 1933: Um ein breiteres Publikum anzulocken, inszenierte Max Reinhardt nun Komödien wie Goldonis Diener zweier Herren und Shakespeares Sommernachtstraum, die spielerisch Musik und Tanz integrierten. Gleichzeitig fällt auf, dass zwar Schauspielerinnen und Schauspieler jüdischer Herkunft beteiligt waren, doch fehleten einige Stars unter ihnen, die an anderen Orten aber sehr gerne mit Reinhardt zusammen arbeiteten.
Nach der Fertigstellung des (Kleinen) Festspielhauses konnten weit opulentere Operninszenierungen realisiert werden. Im Architekten Oscar Strnad fand sich ein visionärer Bühnenbildner, in Bruno Walter ein Dirigent von Weltrang, der seine Karriere bei Gustav Mahler begonnen hatte. Dessen Schwager wiederum war Arnold Rosé, Konzertmeister der alljährlich in Salzburg aufspielenden Wiener Philharmoniker. Von der Wiener Staatsoper kamen nicht nur die Kostüme und die Kulissen, sondern auch die Protagonist*innen. Die berühmten jüdischen Stimmen an der Oper waren weiblich: Rosette Anday, Claire Born, Elisabeth Schumann...
1928 gab die Leningrader Opernwerkstatt mit drei Mozart-Operninszenierungen ein von antikommunistischen Protesten begleitetes Gastspiel, Tilly Losch führte ihren Tanz der Hände auf, Hofmannsthal Tanzpantomime Die grüne Flöte glänzte mit futuristischen Kostümen. Auf der Ballett-Bühne beeindruckte die Choreographin Margarete Wallmann mit ihren Inszenierungen.
Die Plakate für 1938 mit den Stars Toscanini und Reinhardt waren schon gedruckt, doch nach dem Einmarsch deutscher Truppen entlud sich die lange aufgestaute Wut der lokalen Nazis in martialischen Aktionen: Die Synagoge und die wenigen jüdischen Geschäfte in Salzburg wurden verwüstet. Am 30. April 1938 fand am Salzburger Residenzplatz die einzige Bücherverbrennung in der Geschichte Österreichs statt.
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte jedoch das Problem, dass er nun eine Institution übernehmen und neugestalten wollte, die er jahrelang mit allen Mitteln bekämpft hatte. Katholische Programmpunkte wie der Jedermann und die Kirchenmusik wurden abgesetzt, die jüdischen Protagonisten waren längst verhaftet oder geflohen. Nach Kriegsbeginn büßte die Inszenierung zusehends an Opulenz ein, zuletzt wurde fast nur noch vor Soldaten auf Heimaturlaub gespielt.
Die amerikanische Besatzungsmacht hatte 1945 ihr Hauptquartier in Salzburg aufgeschlagen und erstrebte eine rasche Normalisierung des zivilen Lebens. Die Festspiele boten wieder eine internationale Kulisse. Um den künstlerischen Betrieb auf höchstem Niveau zu gewährleisten, wurden durch ihre Tätigkeit für das NS-Regime belastete Künstler wie Karl Böhm, Wilhelm Furtwängler, Attila Hörbiger, Herbert von Karajan, Clemens Krauss oder auch Paula Wessely nach einem kurzfristigen Auftrittsverbot wieder engagiert. Zu den wenigen jüdischen Protagonisten dieser ersten Nachkriegsjahre gehörte der Schauspieler Ernst Deutsch, der in den folgenden fünfzehn Jahren den Tod im Jedermann spielte. Der Geiger Yehudi Menuhin kam zu zwei Gastspielen, um der vom NS-Regime verwüsteten Kulturlandschaft beizustehen. Der Opernregisseur Herbert Graf feierte einige gelungene Inszenierungen und war an den Entwürfen Clemens Holzmeisters für das Große Festspielhaus beteiligt.
Die Ausstellung Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele entstand in einer Kooperation mit den Salzburger Festspielen. Eine weitere Kooperation besteht mit dem Salzburg Museum, auf dessen Einladung hin das Jüdische Museum Wien einen Raum in der Landesausstellung Großes Welttheater – 100 Jahre Salzburger Festspiele gestaltet hat.
Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ präsentierte der stv. ORF-Direktor für Technik, Online und neue Medien, Thomas Prantner, das ORF-TVthek-Medienarchiv Judentum. Es besteht seit 2011 und wurde gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Wien entwickelt und seitdem mehrfach ausgebaut. Zuletzt wurde es 2020 und 2021 um 27 Videos maßgeblich erweitert und zeichnet in nunmehr insgesamt 115 Videos ein facettenreiches Porträt jüdischer Vergangenheit und Gegenwart in Österreich. Anlässlich der neuen Ausstellung des Museums wurde das Medienarchiv jüngst auch um die Dokumentation Die Künstler, die Antisemiten und die Salzburger Festspiele ergänzt. (ots/dpk)