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Verloren oder nie gehabt...

OPER GRAZ / THE CORRIDOR

17/06/21 Orpheus schreitet singend voran, führt Eurydike hinauf aus dem Totenreich ins Licht... So hätten Monteverdi und Gluck – und wir alle – es gern. Che farò senza Euridice... Was aber, wenn diese Liebe Illusion, er ein Macho und sie als Single besser dran gewesen wäre? In Harrison Birtwistles Operneinakter The Corridor gleicht schon die Befreiung einer gewaltsamen Entführung.

Von Heidemarie Klabacher

Er zerrt sie am roten Seil hinter sich her. Keine Fürsorge ist zu spüren, viel mehr reine Gewaltbereitschaft, die aus der Einsicht geboren zu sein scheint, dass da einer seinen Willen nicht kriegen wird. ER – die Namen Orpheus und Eurydike gibt es nicht in Harrison Birtwistles knapp einstündigem Meisterwerk – spürt Widerstand. Dieser Widerstand verstärkt sich mit jedem Ruck am Seil. Nicht Furien und Larven wollen verhindern, dass SIE zurückkehrt aus dem Totenreich ins Licht. SIE selber ist es, die gegen ihre Rettung ankämpft. Man kämpft. Um Worte. Um Nähe. Um eine Zukunft, die vielleicht schon vorbei noch bevor das Ende gekommen war.

The Corridor, eine Szene für Sopran, Tenor und Ensemble von Harrison Birtwistle, ist eine Aufführung der Oper Graz in Kooperation mit der Kunstuniversität Graz KUG in der Reihe OpernKurzgenuss. Gespielt wird auf der Studiobühne in einer zugleich hochdramatischen und schnörkellosen Inszenierung von Marlene Hahn. Jede Bewegung, jedes Bild, jeder Blick erzählt eine Geschichte: So „kurz“ jede Szene innerhalb einer kaum einstündigen Aufführung auch sein muss – die Intensität der Komposition und die Intensität der Interpretation erwecken das Feeling eines ausgewachsenen Opernabends.

Das verzweifelte Aneinander-Vorbei-Reden auf dem „Gewalt-Marsch“. Die Versuche der Frau, dem Gängelband des Mannes zu entkommen, das sie sich zugleich selber immer noch enger um den Hals legt. Der Moment, in die sie aus der Opfer-Rolle fällt, das schmutzige Hochzeitskleid ab- und eine knallrote sexy Robe anlegt, um sich für Momente als selbstbewusste starke Frau zu präsentieren. Die Erinnerung an eine Liebe, die es tatsächlich auch gegeben haben muss. Seine Reaktionen, die außer Gewalt und Zorn höchstens Augenblicke der Verzweiflung, aber nie klares Handeln erkennen lassen: Die Musik von Harrison Birthwistle spiegelt jede psychische und physische Befindlichkeit pointiert mit oft geradezu klangmalerischen Mitteln.

Das Ensemble aus Studierenden der Studienrichtung Performance Practice in Contemporary Music der KUG unter der Leitung von Julian Gaudiano vermittelt virtuos die musikalische Ausdrucksbreite vom abgeschnürten der Atem in Todesangst, bis zum fast „jazzig“ anmutenden Aufbegehren der Frau.

Die Sopranistin Elisabeth Stemberg brilliert als Woman (Eurydice) mit sängerischer Virtuosität und darstellerischer Präsenz. Mario Lerchenberger als Man (Orpheus) ist, stimmlich hervorragend präsent, rollenbedingt beinah mehr ein Stichwortgeber. Die Bühne von Silke Fischer ist ein Geröllfeld, in dem sich Versatzstücke des Hochzeitsfestes, wie etwa der staubige Brautstrauß, finden, aber keine eindeutigen Marker für Diesseits oder Jenseits. Eine packende Produktion, eine meisterhafte Komposition von Harrison Birtwistle, uraufgeführt 2009, die in ihrer virtuosen Kürze jeder Aufführung der Gluck-Fassung gegenübergegstellt werden sollte.

The Corridor - eine weitere Aufführung am Samstag (19.6.) - oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Werner Kmetitsch

 

 

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