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UA mit Hindernissen

WIEN MODERN IN STREAM UND RADIO

09/11/20 Gespenstisch, beinah steril, wirkt die glitzernde Pracht des Goldenen Saals im Wiener Musikvereins so ganz ohne Publikum. Erst die klangsinnliche Opulenz und subtile Dramatik der Musik von Sofia Gubaidulina erfüllt die Dekoration mit Leben und pochenden Fragen.

Von Heidemarie Klabacher

Das fulminante Wien Modern-Konzert des RSO Wien unter der Leitung von Oksana Lyniv vom Freitag (6.11.) ist als Live-Stream online – wie überhaupt ein Gutteil des aktuellen Programms. Wien Modern, 1988 mit Claudio Abbado als erstem künstlerischem Leiter gegründet, ist längst eines der international wichtigsten Festivals für Neue Musik. Die Lockdown II-bedingte Verlegung ins Virtuelle, wenige Tage nach Eröffnung, ist bei aller Dramatik ein ebenso ermutigendes „Trotzdem“, wie etwa die Adaption der Salzburger Festspiele diesen Sommer. Eine aktuelle Verbindungslinie von Wien nach Salzburg ist übrigens die schier unendliche Geschichte der Uraufführung des jüngsten Werks von Sofia Gubaidulina.

Bereits 1989 war Gubaidulina, Jahrgang 1931, als allererste Komponistin bei Wien Modern zu Gast. Heuer widmeten ihr Wien Modern und das ORF Radio-Symphonie Orchester Wien das traditionelle „Claudio Abbado Konzert“. Das Portät eröffnete Gubaidulinas Konzert für Viola und Orchester (1996 uraufgeführt von Yuri Bashmet und dem Chicago Symphony Orchestra unter Kent Nagano). Im Musikverein spielte Antoine Tamestit die überarbeitete Fassung aus 2015, die dem Solopart deutlich mehr Gewicht zubilligt – das der Bratschist Tamestit mit der ihm eigenen Virtuosität und Zurückhaltung voll Energie mit feinsten Differenzierungen in die Waagschale warf.

Die wie immer präzise und weit vorausblickend phrasierende Oksana Lyniv, die beim RSO Wien ihr Debüt feierte, war eine in allen Facetten von Lautstärke oder Agogik ebenso differenziert argumentierende Dialogpartnerin und Vermittlerin zwischen Solisten und Orchester. Allein dieser Wiedergabe wegen sollte der für sieben Tage zugängliche Stream auf der Website von Wien Modern täglich mindestens einmal geöffnet werden.

Die Aufführung von Sofia Gubaidulinas Symphonie in zwölf Sätzen Stimmen... verstummen.... aus dem Jahr 1986 musste (selbst im Konzert ohne Publikum) entfallen. Dafür kam, im mittlerweile fünften (!) Versuch, deren jüngstes Orchesterwerk Der Zorn Gottes erfolgreich zur Uraufführung. Das Stück, ein Auftragswerk der Staatskapelle Dresden, hätte Anfang 2017 in Düsseldorf uraufgeführt werden sollen, da ist die Komponistin nicht fertig geworden. Der zweite Termin im Mai selbigen Jahres entfiel wegen Krankheit. 2018 hätten die Salzburger Osterfestspiele mit Peter Ruzicka den Auftrag übernommen, „wo die Staatskapelle Dresden im April 2019 mit diesen Werk gastieren sollte“, heißt es im Wien Modern-Katalog (ebenfalls in Auszügen online). Die Arbeiten an der Partitur seien dann aber erst im Februar 2019 fertig geworden, worauf „im Einklang mit Christian Thielemanns Wunsch nach mehr Vorbereitungs- und Probenzeit“ die Uraufführung auf April 2020 verschoben wurde. Und da war Lockdown I.

Nun also hat das Werk, dessen Spieldauer vin 18 Minuten in kaum einem Verhältnis zur Länge seiner Ur-Aufführungsgeschichte steht, bei Wien Modern, quasi die Kurve ins Virtuelle gekratzt: Die Uraufführung am Freitag (6.11.) im Wiener Musikverein fand im Lockdown II statt, vor gespenstisch leeren Sitzreihen doch mit stupender musikalischer Energie. Gewidmet ist das Werk, das noch einen zweiten Teil bekommen soll, Ludwig van Beethoven, dessen schwergewichtige Frage aus dem letzten Streichquartett „Muss es sein“ von Gubaidulina mit voller Orchesterpower ebenso schwergewichtig beantwortet wird: „Es muss nicht sein“ - „dieser Hass unter den Menschen“. Warum steigt der Hass der Menschen, denen es doch eigentlich recht gut gehe, immer mehr an... Diese Frage treibt die Komponistin um. Und sie ist sich sicher: „Gott ist zornig“.

„Für mich ist es die wichtigste Form des Widerstandes der Menschheit gegen den geistigen Verfall überhaupt. Musikalische Tätigkeit ist enorm wichtig und heilend für die Welt.“ Das antwortet Sofia Gubaidulina, die nächstes Jahr ihren neunzigsten Geburtstag feiern wird, auf die Frage nach der Bedeutung von Musikfestivals.

Bilder: Wien Modern / Markus Sepperer (2); David Carreno (1)
Der Stream startete am 6. November und ist sieben Tage verfügbar - geplanter Radio-Sendetermin ist am 26. November um 19.30 Uhr auf Ö1 - www.wienmodern.at
Zum Bericht Ein kräftiges Trotzdem

 

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